Wieso lässt Ihr Erinnerungsvermögen Sie derart im Stich? Ist es das erste Anzeichen einer Gedächtnisschwäche, die von nun an – bedingt durch Ihr Alter oder durch eine noch unentdeckte Krankheit – unbarmherzig ihren Lauf nimmt? Nun, wahrscheinlich nicht. Lassen Sie sich von der scheinbaren Fehlleistung nicht zu sehr verunsichern. Tauen Sie das eingefrorene Lächeln wieder auf. Wenn Sie sich sofort alle Namen gemerkt hätten, könnten Sie damit zwar bei der nächsten Begegnung brillieren; doch wenn Sie das nicht können, ist Ihr Kopf deswegen noch lange nicht leer. Es fehlen nur die Namen. Bei der kurzen Vorstellungsrunde waren Sie nicht etwa abwesend, vielmehr konzentrierten Sie sich auf den Blick, auf den Gesichtsausdruck, auf die Körperhaltung ihres Gegenübers. Sie nahmen bei jedem etwas wahr, was viel mehr über sein Wesen und seine momentane Verfassung verrät als sein Name. Gehen Sie mit Ihrem Gedächtnis also nicht zu hart ins Gericht. Freuen Sie sich darüber, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit intuitiv auf das Wichtige lenkten. Die neuen Bekannten werden Ihnen ihren Namen gerne ein zweites Mal nennen. Vielleicht fragen sie dann, hinter halb vorgehaltener Hand, auch noch einmal nach dem Ihren. Nehmen Sie es nicht als Zeichen von Desinteresse und Abwesenheit, sondern als Hinweis darauf, dass auch sie sich bei der ersten Begegnung auf Ihre Ausstrahlung konzentrierten. Und die ist doch viel wichtiger als Ihr Name.
Franziska Ricklin, Sozialdiakonin, reformierte Kirche
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