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Was wirklich zählt

Erstellt von Franziska Ricklin, reformierte Kirche | |   Unsere Zeitung

Vielleicht kennen Sie das: Jemand stellt Ihnen eine ganze Gruppe von Menschen vor und nennt bei jedem einen Namen. Alle lächeln und schenken Ihnen einen freundlichen Blick. Sie richten Ihre Augen auf ein Gesicht nach dem andern und grüssen wohlwollend zurück. Danach erinnern Sie sich an keinen einzigen Namen. Je mehr Sie Ihr Gedächtnis anstrengen, desto leerer fühlt sich Ihr Kopf an. In Ihrem Gesicht ist noch eine Spur des Lächelns, das Sie den andern schenkten, doch der Schreck, den Sie gerade erleben, lässt es einfrieren.

Wieso lässt Ihr Erinnerungsvermögen Sie derart im Stich? Ist es das erste Anzeichen einer Gedächtnisschwäche, die von nun an – bedingt durch Ihr Alter oder durch eine noch unentdeckte Krankheit – unbarmherzig ihren Lauf nimmt? Nun, wahrscheinlich nicht. Lassen Sie sich von der scheinbaren Fehlleistung nicht zu sehr verunsichern. Tauen Sie das eingefrorene Lächeln wieder auf. Wenn Sie sich sofort alle Namen gemerkt hätten, könnten Sie damit zwar bei der nächsten Begegnung brillieren; doch wenn Sie das nicht können, ist Ihr Kopf deswegen noch lange nicht leer. Es fehlen nur die Namen. Bei der kurzen Vorstellungsrunde waren Sie nicht etwa abwesend, vielmehr konzentrierten Sie sich auf den Blick, auf den Gesichtsausdruck, auf die Körperhaltung ihres Gegenübers. Sie nahmen bei jedem etwas wahr, was viel mehr über sein Wesen und seine momentane Verfassung verrät als sein Name. Gehen Sie mit Ihrem Gedächtnis also nicht zu hart ins Gericht. Freuen Sie sich darüber, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit intuitiv auf das Wichtige lenkten. Die neuen Bekannten werden Ihnen ihren Namen gerne ein zweites Mal nennen. Vielleicht fragen sie dann, hinter halb vorgehaltener Hand, auch noch einmal nach dem Ihren. Nehmen Sie es nicht als Zeichen von Desinteresse und Abwesenheit, sondern als Hinweis darauf, dass auch sie sich bei der ersten Begegnung auf Ihre Ausstrahlung konzentrierten. Und die ist doch viel wichtiger als Ihr Name. 

Franziska Ricklin, Sozialdiakonin, reformierte Kirche

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