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Umstellen

Erstellt von Zeno Cavigelli, Seelsorger, katholische Pfarrei | |   Unsere Zeitung

Dem Vernehmen nach soll Herr Friedli in den drei Wochen, in denen Frau Friedli mit den Kindern die Strandferien genoss, die ganze Wohnung umgeräumt haben. Es sei einfach so gekommen. Wichtige Geschäftstermine und ein Besuch aus dem essenziellen asiatischen Markt verhinderten einen gemeinsamen Familienurlaub. Rückblickend vermochte Herr Friedli den Ablauf dieser Veränderung nicht mehr exakt zu schildern, sei er doch meist am Telefonieren gewesen oder anderweitig absorbiert. Die Wasseranschlüsse blieben immerhin dort, wo sie immer waren. Aber ein Klavier im Badezimmer ist gewöhnungsbedürftig. Das elterliche Schlafzimmer im Keller wird hingegen der Sommerhitze gerecht. Dass Tochter Brigitte als Vegetarierin den Sonntagsbraten in ihrer Kammer dulden muss, findet sie grenzwertig. Auch weil sie mangels Platzes den Esstisch entweder überklettern oder unterkriechen muss, um neue Socken aus der Schublade zu fischen.

Besser hätte er sich abgesprochen mit seiner Familie. Aber eben: Die verflixte Unverträglichkeit von Schulferien und opportunities. Die verflixte Ungleichzeitigkeit. Vielleicht gelingt es ja der Familie Friedli, sich an die neue Ordnung zu gewöhnen. Oder sie finden sich für ein gemeinsames Wochenende, nach dem alles wieder am alten Platz steht. Oder etwas dazwischen, aber dazu müssen sie ihre Köpfe zusammenstrecken. Wenn nicht, steht die Kommode jeweils am Morgen vor der Küche, am Mittag vor dem Zimmer des Sohnes und am Abend vor dem Fernseher, oder umgekehrt. Mitunter geraten in einer Familie, in einer Partnerschaft oder auch in andern menschlichen Gebilden nicht die Möbel in Bewegung, sondern vielleicht Gedanken, Einstellungen, Gewohnheiten, Beziehungen. Was passiert bei uns, wenn eines von uns nach einem besonderen Erlebnis mit einer anderen religiösen oder politischen Einstellung nach Hause kommt? Soll man es sagen oder schweigt man besser? Laufe ich in den Hammer oder stosse ich ins Leere, weil es niemanden interessiert? Haben wir Gefässe zum gemeinsamen Austausch? Sind wir überhaupt mal alle zur selben Zeit am selben Ort? Wer ist «wir»? Ja, wer ist überhaupt «wir»? Ich hoffe für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dass Sie in den nächsten Wochen, wenn vielleicht weniger los ist, weniger Druck herrscht, mehr Gemeinsames möglich ist, sich von einer solchen Frage kitzeln lassen. Und wer weiss, vielleicht gehen dann «wir» in ein Konzert, in eine Gartenbeiz, in einen Film, in eine Kirche, auf eine Tour – dorthin einfach, wo sonst nur «sie» oder «er» hingeht und «ich» es nicht verstehe, weshalb. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine inspirierende Sommerzeit. Lernen Sie nicht nur neue Menschen kennen, sondern lernen sie besonders auch Menschen neu kennen.

Zeno Cavigelli, Seelsorger, katholische Pfarrei

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