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Rauhe Nächte, stille Tage, Sternenglanz

Erstellt von Gina Schibler, reformierte Pfarrerin | |   Unsere Zeitung

Diesmal waren die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr für alle wohl stille Tage. Mit wenigen Menschen gingen wir den Weg über Weihnachten, Neujahr und den Dreikönigstag. Das war ein Verzicht, aber hat er nicht auch gut getan? Konnten Sie einen Bezug finden zu den Nächten zwischen Weihnacht und Dreikönige, die so dunkel und doch so bedeutsam sind?

Lassen Sie mich ausholen. Die Zeit zwischen Weihnachten und dem Neubeginn des Jahres ist seit alters von Nächten bestimmt, in denen Grosses und Wichtiges geschieht. Im Norden brachen die Götter um die Wintersonnwende bedrohlich und hilfreich, zerstörend und segnend zugleich nachts in das Leben der Menschen ein. Das wilde Heer Wotans stürmte in den Winternächten über die Waldgebirge, Frau Holle zog über das Land, vom Heer der verstorbenen Kinder umgeben, und segnete Feld und Stall. Die Toten gingen um, unberechenbare Mächte - der Schimmelreiter und der Klapperbock - trieben ihr Unwesen. Mit Amuletten, Räucherwerk und Beschwörungen schützte man Haus und Hof. Von den Nächten der Mütter sprach man, Hüterinnen über Geburt und Tod, Segen und Gefahr für das atmende Leben.

In diese dunklen Nächten des "Nicht Mehr und Noch Nicht," des Anfangs, der nicht kommen will und des Endes, das nicht verschwindet, brachten die Christen das Licht, das Klarheit in das dunkle Wirken der unberechenbaren Mächte verbreitete. Angstträumen setzten sie das Wort der Nähe Gottes in einem Kind entgegen. Auch hier die Nacht der Mütter – in Form von Maria, der schlichten, einfachen Frau, die Jesus zu Welt bringt. Von Jesus, dem Licht der Welt, erzählten sie, und nicht von Reitern und gespenstischen Tieren. Lichte Boten Gottes sahen sie, Engel, die Frieden auf Erden stifteten.

In den letzten Wochen waren sie auch bei und in uns los, die Reiterheere der Ängste, mit dunklen Schreckgespensten von Seuchen, Ansteckung und Sterben. Nicht Wotans Heere oder grausige Schimmelreiter trieben uns vor sich her, sondern unablässig steigende Infektionszahlen, Hiobsbotschaften von noch ansteckenderen Virusmutationen und überlasteten Sterbeorten.

Als ich kurz vor Weihnacht von den neuen Virusmutationen hörte, lachte ich laut heraus und konnte es zuerst nicht fassen. Wie kann ein Virus noch ansteckender sein? fragte wohl nicht nur ich mich. Aber doch, so ist es offenbar. Bizarres ereignete sich: Keine Untoten gingen umher, kein Herodes trieb sein Unwesen, aber vielleicht infizierte Briten landeten auf den Flügeln der Morgenröte in der Schweiz und flüchteten – wie damals Josef mit dem Kind – Hals über Kopf in der Nacht. Ist es da nicht berührend, dass in diesen unendlich stillen und dennoch so ruppigen Nächten am Himmel ein Glanz, ein Stern aufging: Die Jupiter-Saturn-Konjunktion, eine höchst seltenes Ereignis, identisch vermutlich mit der Konstellation zur Zeit von Christi Geburt?

An einem Abend gelang es mir, einen Blick auf sie zu erhaschen: Durch ein einfaches Fernrohr erblickte ich Jupiter und Saturn mit seinen Ringen in unmittelbarer Nähe zueinander. Die Nacht der Hoffnung ist da, raunten die Sterne. Binde deinen Karren an einen Stern, riet einst der grosse Leonardo da Vinci. Binde deinen Stern – deine Berufung – nicht an Moden, Ängste oder Trends, sondern folge deinem Stern. Ich stelle mir vor, wie diese Männer damals durch die Dunkelheit ritten oder wanderten. Diese Geschichte - keine Legende respektive blosse Phantasterei - kündet von einer Reise, die auch wir Heutigen auf uns nehmen können. Sie erzählt vom Vertrauen, nach den Zeichen von Sternen auf der Erde einen Weg zu einem unbekannten Ziel zu suchen – und dem Glück, es tatsächlich zu finden!

Wie aber kann ein Naturereignis, noch dazu von ausserhalb unserer Erde, einen zutreffenden Hinweis enthalten auf unser Geschick? Haben die verschiedenen Schichten und Räume des Weltalls eine Botschaft für uns? Redet der Sternenhimmel zu uns? Das Erstaunliche ist das Vertrauen der fremden, unbekannten Menschen, der Weg, den sie suchen, werde sie an den von den Zeichen des Himmels gemeinten Ort führen. Sie gehen davon aus, dass das, was die Sterne sagen, sich als wahr erweisen wird. Die Geschichten der Geburt Jesu im Stall, des Lichtes inmitten der Dunkelheit und des Sterns über uns vermögen uns auch heute Trost und Gelassenheit zu spenden. Ja, vieles ist zur Zeit ungewiss.

Auch Menschen aus unserer Gemeinde sind in den letzten Wochen an diesem diabolischen Virus gestorben, wir konnten nur im kleinsten Kreis auf dem Friedhof von ihnen Abschied nehmen. Der Tod hinterlässt Lücken. Aber wir können uns ebenfalls inmitten dieser besonderen, ausserordentlich stillen, unter freiem Himmel stattfindenden Weihnachts- und Neujahrszeit 20/21 ausrichten an einem grösseren Stern, als es unser ausgelassenes Treiben über Neujahr in der Regel zulässt. Gott – davon bin ich überzeugt - schenkt uns die Gelassenheit, das hinzunehmen, was wir nicht ändern können, den Mut, das zu ändern, was wir ändern können, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Gina Schibler, reformierte Pfarrerin

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