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Liebe Frau Steiner, bitte machen Sie Ihre Hausaufgaben

Erstellt von Veronika Harzenmoser, Volketswil | |   Unsere Zeitung

Die letzten Wahlen verlängern die Durststrecke für eine merkliche Änderung der Bildungspolitik im Kanton Zürich. Leider. Eine neue Pädagogische Hochschule als weiteres Pflaster gegen den Lehrermangel soll es geben – anstatt die offensichtlichen Baustellen mit Fleiss, Verständnis, Mut, offenen Augen und Wille zu ultimativen Veränderungen in Angriff zu nehmen.

So viele gute Leute verlassen die Schule – nicht, weil sie nicht gerne Lehrer sind, sondern weil sie sich nicht verheizen lassen wollen. Es fehlen Ressourcen an allen Ecken und Enden und die uns mit der Integrationspolitik auf Teufel komm raus im Jahre 2005 versprochenen Heilpädagogen lassen sich kaum sehen, weil es sie einfach nicht in genügender Zahl gibt. Lehrpersonen wählen diesen Beruf, um Kinder zu unterrichten, sie zu leiten, optimal zu fördern und das Beste aus ihnen herauszuholen, um stolz auf sich und ihre Leistungen sein zu dürfen.

Der Lehrplan und die Lernziele wollen erfüllt sein. Wie soll das gehen, wenn ich vor einer vierten Klasse stehe mit nur vier (aktuell - es waren auch schon weniger) Deutsch sprechenden und zwanzig Kindern, deren Deutsch weniger als rudimentär ist. Es fehlen Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit. Sie kennen zwar den Lesevorgang, verstehen aber viele Wörter und Zusammenhänge nicht. Arbeitsanweisungen werden kaum oder nur nach mehrmaligem Erklären verstanden. Wie bitte soll hier Regelunterricht stattfinden. Ein Hamsterrad ohne Ende. Burnout oder Kündigung. Das Traurige daran ist, dass nach meiner Erfahrung kaum eine Schulleitung oder Schulpflege sich danach erkundigt, was der wirkliche Grund für den Weggang ist oder sich vorgängig schon bemüht, die nötige Unterstützung zu bieten, mutige Entscheide zu treffen, anstatt Zeit für endlos lange Besprechungen und "Roundtables" zu verplempern. Der Schulpsychologische Dienst entscheidet oft aufgrund der Finanzlage, nicht aufgrund der Notwendigkeit zugunsten des Kindes. Entscheidungen schiebt man auf die lange Bank.

Was meines Erachtens als Schulfrau, die sich die Entwicklung seit 50 Jahren ansieht und selbst beinahe 50 Jahre im 100 Prozent-Pensum an der Unterstufe, Mittelstufe und Kleinklasse D tätig war, passieren müsste, um die Schullandschaft zu "retten" wären folgende Punkte:

1.) Ausbildung mit viel höherem Anteil an Praxis in überschaubaren kleinen Studiengruppen mit einem verantwortlichen Mentor. Man stelle die Studenten und ihre Ausbildung in den Mittelpunkt, nicht das Pflegen der einzelnen eigenen Gärtchen.

2.) Schulen mit hohem Anteil an mangelhaft Deutsch sprechenden Schule müssen autonomer werden können. So könnten sie die Lehrpersonen für «Deutsch als Zweitsprache» als Klassenlehrpersonen einsetzen und eine zweite Lehrperson erteilt den Regelunterricht. So kämen auch leistungsstarke Kinder nicht immer zu kurz. Kinder der Deutsch lernenden Gruppe könnten nach und nach in den Regelunterricht integriert werden. Dafür müssen die Schulteams mit Zeit- und Unterstützungsressourcen versorgt werden, um autonom und eigenverantwortlich unterrichten zu können. Der «Neue Bildungsauftrag», der ursprünglich für die Arbeitszeiterfassung der Lehrpersonen hätte dienen sollen und nun zum lächerlichen Feilschen um Stundenprozente ausgeartet ist, könnte dann ersatzlos gestrichen werden. Dann würde der Lehrerberuf wieder vom Job zur Berufung zurückkehren.

3.) Bei den Klassenzusammensetzungen müssten alle Kinder mit irgendeinem Defizit doppelt gezählt werden – auch die Hochbegabten. So wird die Schülerzahl in einem ertragbaren Rahmen gehalten.

4.) Die ehemalige Einschulungsklasse muss kantonsweit wieder eingeführt werden. Entwicklung lässt sich nicht zwingen. So können Kinder mit nachhinkender Entwicklung nach zwei Jahren von der ersten Klein-Klasse gut gesattelt in die zweite Regel-Klasse eintreten und die restliche Schulzeit mit Freude erleben, anstatt elf Jahre am Ende des Zuges mitfahren zu müssen.

5.) Grosse Schulen brauchen weitere Kleinklassen für Kinder, die ohne Deutsch eingeschult werden (Deutschklassen mit LP die dafür ausgebildet sind) und Klassen, wo Kinder mit Verhaltens- und Sozialisationsproblemem solange im kleinen Rahmen von Heilpädagogen geschult werden, bis sie wieder in die Regelklasse integriert werden können. Man könnte diese Klassen als "Chancen-oder Ruhe-Insel" bezeichnen. Bei Kleinklassen zur Förderung von Hochbegabten käme niemand mit Floskeln wie «Ausgeschlossensein» und «Brandmarkung», «Separation» und «Diskriminierung». Dieses Gerede geht mir schon so auf den Wecker. Tatsache ist, dass sich die Kinder bedeutend besser fühlen, sich nicht andauernd messen zu müssen, nicht am Laufmeter ungenügende Noten einzufahren sondern zur Ruhe kommen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass einige Kinder schon sehr bald integriert werden könnten, während andere es vorziehen, im kleinen Klassenverband zu bleiben. Würde man eine Schülerumfrage machen, wer lieber in einer kleinen Gruppe unterrichtet werden wolle, würden die schulverantwortlichen Politiker Augen machen. Auf diese Idee ist ja bisher noch niemand gekommen. Und so kommt ja auch nicht von ungefähr, dass wir im Kanton Zürich 64 Privatschulen haben im Vergleich zu 45 in der übrigen Schweiz.

6.) Die Schulleitungen haben dafür zu sorgen, dass die Eltern die rote Linie nicht ungestraft überschreiten, sondern sich mehr um ihre Erziehungsaufgaben kümmern. Schulleitungen sind nur für die operative Leitung des Schulhauses zuständig ohne Einmischung in Didaktik und Methodik und sorgen für weniger nicht für mehr Bürokratie.

7.) Die Lehrerschaft müsste ihr Anliegen und die Missstände stärker in der Öffentlichkeit aufzeigen und für Verbesserungen kämpfen. Nur sie stellt das Kind in den Mittelpunkt und weiss, wo der Schuh drückt. Leider lassen sich zu viele einen Maulkorb verpassen oder resignieren einfach und suchen sich einen anderen «Job». Nur diese paar Punkte allein würden schon viele Lehrpersonen bei der Stange halten, denn die allermeisten lieben ihren Beruf und wünschen sich nichts mehr, als in Ruhe unterrichten zu können. Natürlich sind dies nicht die einzigen Baustellen, doch sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Mit mehr Eigenverantwortung der Lehrpersonen und der einzelnen Schulhäuser sähe ich einen echten Lichtblick. In meinem Schulhaus funktionierte die eigenständige Schulentwicklung zum Wohle des Kindes super. Wir waren sogar Vorzeigeobjekt - bis sich neue Hierarchien wie Leiter Bildung und teilweise unfähige, laufend ändernde Schulleitungen einschlichen und die durch viel Engagement erreichte gute Schulkultur und Schulqualität verschlechterte und die eigentliche «Schulpflege» in weite Ferne rückte.

Um grosse Veränderungen umzusetzen, braucht es viel Kraft, Mut und Energie.

Veronika Harzenmoser, ehemalige Lehrperson, Volketswil

 

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