Anmelden | Registrieren

Lesen Sie? Und lieben Sie?

Erstellt von Zeno Cavigelli | |   Unsere Zeitung

Gerne gebe ich zu, dass ich kaum mehr Sachbücher oder Fachbücher lese. Aus der Feder eines doktorierten Theologen tönt das befremdlich. Aber was Salman Rushdie über die Liebe schreibt, oder Ljudmila Ulitzkaja oder Felicitas Hoppe oder Hans Fallada oder Anne Rabe, ebenfalls über die Liebe, jedoch auch über ihre Abwesenheit und dazu noch über dies und das, findet einfach definitiver in mein Inneres.

Oder «Blutstück» nach dem Roman von Kim de l’Horizon im Schauspielhaus (beeilen Sie sich, da sind nur noch drei Aufführungen Anfang Mai). All das holt ab und dringt ein und blüht und bringt auch mich zum Blühen. Gelungene Theaterstücke, Erzählungen bilden Leben ab. Gedichte können sich ins Herz bohren, ohne es zu zerstören. Nun habe ich in den letzten Wochen zwei Ausnahmen gemacht, die ich gerne weiterempfehle:

• Julia Enxing, Und Gott sah, dass es schlecht war, Kösel Verlag 2022, 189 Seiten
• Daniel Bogner, Liebe kann nicht scheitern, Herder Verlag 2024, 191 Seiten

Sowohl Julia Enxing als auch Daniel Bogner sitzen auf Lehrstühlen katholischer Fakultäten, Frau Enxing lehrt jetzt Fundamentaltheologie in Bochum und Herr Bogner Moraltheologie und Ethik in Fribourg. Was aber ihre beiden Bücher gemeinsam haben, ist ihr Ausgangspunkt bei eigenen Erfahrungen. Enxing schildert ihr Interesse an Tieren seit ihrer Kindheit. Sie offenbart ihre Beziehungsfähigkeit über die menschliche Spezies hinaus und setzt sich vehement für das Gehör und die Rechte aller Lebewesen ein. Wäre es nicht an der Zeit, dass Christinnen und Christen, nicht nur der Papst, sich entschieden für die Artenvielfalt, für die Erreichung der Klimaziele, für die nachhaltige Entwicklung und gegen die rücksichtslose Ausbeutung des Planeten wehren würden? Ja, die Autorin setzt sich mit der drohenden Vernichtung unserer Welt und der Rolle des Menschen darin auseinander. Sie erklärt den Sinn der biblischen Schöpfungserzählungen und leitet daraus nicht nur ab, was die Aufgabe von uns Menschen auf diesem Planeten sein sollte, sondern sie stellt auch menschliche Überlegenheitsdünkel gegenüber den anderen Lebewesen in Frage. Das Buch rüttelt auf und nimmt mich als Leser/-in in die Pflicht. Auch Bogner setzt bei seinen Erfahrungen an. Wir alle haben Erfahrungen als Liebende, oft sowohl positive als auch enttäuschende. Aus diesen Erfahrungen können wir lernen – auch ein Professor kann das! Dabei blickt er um sich und stellt fest, dass die Liebe viel weiter fasst, als die herkömmliche Lehre seiner Kirche es haben möchte. Da geht es hauptsächlich um die Regulierung von Sexualität. Katholische Sexualität spielt in der Hetero-Ehe oder aber sie ist «irregulär». Dieses Korsett bricht Bogner auf. Liebe gibt es auch zwischen Menschen gleichen Geschlechts, und es darf sie geben! Damit beweist der Professor Mut, wirken doch die Äusserungen des katholischen Lehramts bis in die letzten Tage recht überholt und wenig hilfreich. Mich hat das Bogner-Buch an ein schmales Werk erinnert, das seit 50 Jahren bei mir im Regal steht: Erich Fromm, Die Kunst des Liebens. Fromm schrieb es in den 50er-Jahren und es könnte überholt sein, ist es aber nicht. Nun ja, dass die körperliche Liebe, die gelebte Sexualität immer der Gipfel der Liebe sein muss, und dazu die Engführung auf die ausschliessliche Zweierbeziehung – darüber müsste man wohl noch gründlicher nachdenken. Aber was Fromm als die vier Grundelemente der Liebe, jeder Liebe, einfordert, nämlich Fürsorge, Verantwortlichkeit, Respekt und Wissen, das scheint mir unüberbietbar und für jede Art Liebe notwendig, sei es nun die exklusive Paarbeziehung, eine Freundschaft, die Nächstenliebe oder die Liebe zu Gott. Und auch die Liebe zur Schöpfung ruft das selbe Engagement von mir ab: Ich brauche solides Wissen über die Welt, der ich mit dem Respekt des schlichten Mitgeschöpfs gegenüberstehe. Müsste sich daraus meine Verantwortlichkeit nicht wie von selbst entwickeln? Diese brauche ich, um fürsorglich, helfend, zärtlich mit der Welt, zu der ich ja nicht zuletzt selber gehöre, umzugehen. 

Zeno Cavigelli, katholischer Seelsorger, Volketswil

Zurück
Die Kommentarfunktion steht nur registrierten und angemeldeten Nutzern zur Verfügung. Zum Login.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!