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Kreuz, Galgen oder Guillotine?

Erstellt von Michaele Madu, katholische Pfarrei | |   Unsere Zeitung

Ich sass einmal abends in der Kapelle des Lassallehauses der Jesuiten in Edlibach bei Zug. Nach ­einem Kurstag war ich dort allein im Dunkeln. Nur ein Korpus von Jesus an der Wand war erleuchtet. Das Besondere ist, dass Jesus dort als Gekreuzigter ohne Kreuz hängt. Er ist mit ausgebreiteten Armen an der blossen Wand befestigt. Dadurch entsteht ein interessanter Effekt. Ich stellte mir vor, wie er als Sterbender die Arme ausbreitet und mir Gottes Liebe zeigt, durch die er den Tod überwunden hat.

Doch dann hielt ich inne und überlegte mir, wie sehr mich meine christliche Prägung dazu bringt, das so positiv zu deuten. Weil wir als Christen glauben, dass es am Ende gut ausging, vergessen wir, wie extrem der Kreuzestod war. Der Glaube, dass Jesus auferstanden ist, prägt uns ebenso wie die Hoffnung, selbst einmal aufzuerstehen, d. h., dass unser Wesenskern den Tod überdauert. Aber wir dürfen nie verharmlosen, dass der Kreuzestod ein Erstickungstod war. Diese grösste Folter war damals für Schwerverbrecher bestimmt. Ich wagte daher ein Gedankenexperiment: Welche Darstellung Jesu würde in der Kapelle hängen, wenn er in einer späteren Zeit getötet worden wäre? Es könnte in Kirchen ein Erhängter am Galgen von der Decke baumeln. Oder zu Zeiten der Französischen Revolution wäre es eine Guillotine gewesen, mit Jesu Körper davor liegend und seinem abgetrennten Kopf am Boden. Bei Todesstrafen der heutigen Zeit sähen wir in Kirchen einen elektrischen Stuhl stehen und Jesu zusammengesackten Körper darin mit Handgelenkmanschetten fixiert. Und ein letztes Bild führte ich mir vor Augen: Jesus tot auf einer Bahre, nachdem er die Spritze in den Arm bekam. Ich denke, es hätte mich gegruselt, wenn ich mit solchen Darstellungen von Jesu Tod abends allein in der Kapelle gesessen hätte. Eigentlich sollte es uns auch vor dem Kruzifix, dem Kreuz mit Jesu totem Körper, gruseln. Wir haben uns nur zu sehr daran gewöhnt. Es ist daher heikel, das Kreuz als reinen Modeschmuck zu betrachten. Unter anderen Zeitumständen würden Christen jetzt einen kleinen Galgen oder einen elektrischen Stuhl um den Hals tragen. Das wäre schon ein befremdliches Erstkommuniongeschenk als kleiner Silberanhänger. Aber jede Todesstrafe ist grausam und sollte uns aufrütteln. Es gibt daher einen anderen Grund, warum der Anblick des Gekreuzigten in der Kapelle Ruhe und Trost in mir hervorrief. Es lag daran, wie Jesus in der Bibel auf seine Kreuzigung reagierte. Einiges ist uns in den Evangelien überliefert. Wir kennen Zitate wie: «Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.» / «Vater, nimm meinen Geist auf.» / «Es ist vollbracht.» Nehmen wir einmal an, Jesus hätte all das kurz vor seinem Tod gesagt. Zeugen unter dem Kreuz gab es so einige. Durch seine aussergewöhnliche Haltung der Feindesliebe und Vergebung gab er dem Kreuzestod einen tieferen Sinn. Ich kann das Kreuz als Symbol meditieren, da von Gott her eine andere Wirklichkeit dahintersteht. Und noch etwas Einmaliges kommt hinzu: Als ich da so in der Kapelle sass, hatte ich die Hoffnung, dass der Auferstandene nun unsichtbar bei mir ist. Wenn es wahr ist, was Christen von Jesus glauben, dann hängt er nicht nur als gekreuzigte Figur an der Wand, sondern ist auch immer als lebendiger Christus an unserer Seite.

Michaele Madu, katholische Pfarrei Volketswil

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