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Eine "altmodische Tugend"

Erstellt von Franziska Ricklin | |   Unsere Zeitung

Eine Strasse bringt uns von A nach B. So einfach ist das, würde man meinen. Ist es aber nicht, wenn es um eine Autobahn geht. Denn eine Autobahn ist lang und vielspurig und schneidet dadurch auch C von D ab. Und sie ist laut und taucht E und F in ständiges Rauschen. In G und H rauben einem die Lärmschutzwände die Aussicht. Kein Wunder, kommt es zu Meinungsverschiedenheiten, wenn die Schweizer Politik das Autobahnnetz ausbauen möchte.

Kurzfristig scheinen gute Argumente für einen Ausbau zu sprechen: weniger Stau an neuralgischen Stellen, weniger Abgase, kürzere Fahrzeit. Doch all das gilt eben nur für A und B. In C und D fühlt man sich durch die zusätzlichen Spuren noch stärker voneinander abgeschnitten. Wenn C und D nicht zwei Ortschaften sind, sondern zwei Quartiere derselben Stadt, zeigt sich besonders augenfällig, wie hoch der Preis für das schnelle Fahren ist. In E und F schwillt der Lärm an, in G und H die schallschluckenden Wände. Vor allem aber: Auch für A und B geht die Rechnung bald nicht mehr auf. Die Verbreiterung macht die Fahrt attraktiver, also steigt die Zahl der Fahrzeuge. Auch für den Freizeitverkehr steigen viele wieder auf den eigenen Wagen um, schleppen am Wochenende die Skiausrüstung nicht mehr zum Bahnhof, sondern packen sie einfach in den Kofferraum. Und schon ist die Strasse von A nach B wieder verstopft. Es bräuchte eine weitere Spur. In der kleinräumigen Schweiz können wir aber nicht so viel Kulturland in Fahrspuren verwandeln. Statt eines Ausbaus brauchen wir wohl andere Lösungen. Wir wäre es mit etwas mehr Bescheidenheit? Die Autobahn jenen überlassen, die im Berufsverkehr wirklich darauf angewiesen sind. Häufiger den Zug nehmen, auch wenn es länger dauert. Statt zweimal nur einmal fahren und dafür länger bleiben. Oder halt einmal ganz auf eine Fahrt verzichten. «Bescheiden» klingt in manchen Ohren vielleicht altmodisch und nicht so cool wie «brettern», aber langfristig bleibt uns, global gesehen, ohnehin nichts anderes übrig, als etwas mehr Verzicht zu üben. Also fangen wir doch einmal bei der Fahrt von A nach B an. 

Franziska Ricklin, Sozialdiakonin, reformierte Kirche

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