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Die sieben letzten Worte im Paradies?

Erstellt von Zeno Cavigelli, katholischer Seelsorger | |   Unsere Zeitung

Eine befreundete Musikerin erzählte mir von einem Projekt, zu dem sie eine von sieben Kompositionen beisteuerte. Es hat mich seither nicht mehr losgelassen und ich hoffe, dass ich diesen Herbst die Aufführung des ganzen Werkes in Deutschland hören kann. Im Moment, wo ich diesen Text schreibe, sitze ich aber im Oberwallis in einem Paradies von Blüten und Grün, von Sonne, Bergen und wunderbarer Musik. Ungefähr so stelle ich mir das Paradies, von dem die Bibel erzählt, vor. Nur dass die Leute hier Kleider anhaben und die Wespen gegebenenfalls auch stechen würden. Und die Äpfel sind hier auf 1200 Metern über Meer alles andere als schon reif.

Bei den sieben letzten Worten handelt es sich um jene, die uns die Evangelien von Jesus am Kreuz überliefern:

1. Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. (Lukas 23,34)
2. Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. (Lukas 23,43)
3. Frau, siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter! (Johannes 19,26f.)
4. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Markus 15,34)
5. Mich dürstet. (Johannes 19,28)
6. Es ist vollbracht. (Johannes 19,30)
7. Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. (Lukas 23,46)

Joseph Haydn komponierte sein Orchesterwerk «Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze» 1787 im Auftrag eines Priesters in Cádiz. Am bekanntesten ist wohl die Fassung für Streichquartett aus der Hand des Komponisten. Haydns Komposition ist eigentlich perfekt und kann nicht wiederholt werden. Wozu also ein neues Projekt? Wozu sieben neue Kompositionen? Oder anders gefragt: Wenn Jesus uns, wie die Christenheit glaubt, mit seinem Kreuzestod erlöst hat, hat er uns dann auch von all den Krisen, die unsere Welt und unsere Gesellschaft bedrohen, erlöst? Von der Klimakrise etwa oder von der immer unverblümteren Infragestellung von Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und globaler Problem- und Konfliktlösung? Und wenn das nicht am Kreuz für uns erledigt wurde, wer wird es dann tun? Viele junge oder noch nicht alte Menschen machen sich grosse Sorgen um die Zukunft unserer Welt. Die optimistische Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit, die sorglose Problemvergessenheit der Neunzigerjahre, wo sind sie geblieben? Wenn sich heute Menschen auf der Strasse festkleben, sehe ich darin Verzweiflung. Deshalb verstehe ich die Idee des erwähnten Projekts mit dem Titel «Sieben letzte Worte – kein Erlöser am Kreuz» nur zu gut. Die sieben von sieben Autorinnen der jüngeren Generation geschriebenen Worte sind – ja, pessimistisch, zu pessimistisch vielleicht. Hoffentlich sind sie viel zu pessimistisch. Aber sie werfen Fragen auf. Soll nicht, wer Fragen stellt, solche mit Biss stellen?

Etwa:
• Was bin ich bereit zu investieren in den sozialen Zusammenhalt von uns Menschen, und wo sind für mich die Grenzen von Integration und Toleranz?
• Was unternehme ich konkret gegen eine Spaltung der Gesellschaft?
• Was will ich tun für eine Politik, die in der Gemeinde, im Land und weltweit die anstehenden Probleme nicht brachial oder gar nicht, sondern gemeinschaftlich zu lösen versucht?
• Welches ist mein konkreter Beitrag zur Reduktion der menschgemachten Klimaerwärmung?
• Nutze ich meine natürliche Intelligenz für Antworten auf Fragen wie: Wie frei bin ich? Was unterscheidet mich von einer Maschine? Was macht mich zum Menschen?
• Bin ich bereit, meinen Glauben, meine Spiritualität, mein Wertegebäude zu hinterfragen, hinterfragen zu lassen und weiterzuentwickeln?
• Welche medizinischen oder pflegerischen Leistungen erwarte ich unbedingt für mein Leben, und was bin ich dafür bereit zu bezahlen oder in Kauf zu nehmen?
• Wie gross ist meine Bereitschaft, die Endlichkeit des Kosmos zu akzeptieren?

Oder anders gefragt: Bin ich bereit – als Christenmensch –, dem Erlösungshandeln von Jesus Christus damals eine Gestalt im Heute zu geben? Ich beende meinen Text in der Mittagshitze. Es ist ruhig hier in Ernen. Intensiv nehme ich die Farben dieser so reichen Alpenflora wahr, am meisten bewegen mich aber die Düfte. Sie sind nicht nur Gegenwart. Sie wecken Erinnerungen, vielleicht an Wanderungen in der Kindheit? Ich hoffe auf diese Wanderungen durch die Zeit – von den Anfängen bis in die allerfernste Zukunft aller, die nach uns kommen werden.

Zeno Cavigelli, katholischer Seelsorger

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