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Die Nacht ist vorgedrungen

Erstellt von Roland Portmann, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

«Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht auslöschen können.» So heisst es im Prolog des Johannesevangeliums. Wenn wir in diesen Tagen des Advents in unsere Häuser schauen, dann wird uns die Botschaft dieses Verses ganz anschaulich vor Augen geführt: Wenn es draussen kalt und dunkel ist, entwickelt der Mensch eine Sehnsucht nach Licht und Wärme – und hier kommt wohl seine Sehnsucht nach Geborgenheit zum Ausdruck, seine Sehnsucht, das Dunkle, Bedrohliche in seinem Leben hell zu machen. Gerade auch in Zeiten des Krieges und der Energiekrise, wenn die Welt noch dunkler erscheint. Passend zu diesen Tagen und Wochen des Advents findet sich ein Lied im reformierten Gesangbuch, das von der Dunkelheit zu erzählen weiss – und auch vom Licht, das diese Finsternis erhellen kann: «Die Nacht ist vorgedrungen».

Ein Blick auf die Biografie des Dichters dieses Liedes, Jochen Klepper, zeigt, dass hier nicht bloss fromme Floskeln abgespult werden, sondern dass dieses Lied vollgepackt ist mit Lebens- und Glaubenserfahrungen. Jochen Klepper hat als bekennender Christ und Mann einer Jüdin den Nazi-Terror am eignen Leib erfahren müssen und wählte am 11.  Dezember 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg und in der Adventszeit also, zusammen mit seiner Frau und seiner Stieftochter den Freitod, weil er beide liebte und sie nicht allein ihrem unausweichlichen Schicksal entgegengehen lassen wollte. Mitten in dieser schweren Zeit legte Jochen Klepper 1938 eine Sammlung von Gedichten vor, die auch den Text «Die Nacht ist vorgedrungen» enthält: Die Nacht ist vorgedrungen Der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen Dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet Auch deine Angst und Pein. «Die Nacht ist vorgedrungen», schreibt Klepper. Die Nacht – Symbol für das Bedrohliche, für das Dunkle, das Unheimliche in unserem Leben. Die politische Lage in der damaligen Zeit empfindet Jochen Klepper als Nacht. Wie eine dunkle Wolke umgibt sie ihn und seine Familie, beschwört tägliche Lebensangst. «Ich sehe nur noch einen Abgrund vor mir», schreibt Klepper in sein Tagebuch, «und darüber Gottes Hände.» Doch es bleibt die Hoffnung des Advents: «Der Tag ist nicht mehr fern.» Die Dunkelheit soll nicht dunkel bleiben. Die Nacht soll ein Ende haben. Die Traurigkeit soll verwandelt werden. Schuld soll nicht mehr quälen. Der Morgenstern erstrahlt, der über uns Menschen nicht ausgehen wird. Der Morgenstern – zwar scheinbar machtlos gegen die übermächtige Dunkelheit, doch hat die Dunkelheit ihn nicht auslöschen können, wie der Evangelist Johannes schreibt. «Und wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.» Jochen Klepper kennt die nächtlichen Tränen, die Dunkelheiten – auch in sich selbst. Und dann sieht Jochen Klepper auf das Kind in der Krippe  – und er weiss: Gott ist bei ihm. Nicht nur fernab im Himmel, sondern hier bei ihm, mitten in seinen Traurigkeiten, seiner Dunkelheit. Auch die Nacht, die in Jochen Kleppers Leben eingedrungen war, hat ihn nicht von Gott trennen können. Die Dunkelheit in seinem Leben löste nicht Zweifel an Gott aus, sondern bewirkte Sehnsucht nach ihm und führte ihn ins Vertrauen auf diesen Gott. Merkwürdig, denke ich manchmal, dass das bei uns oft so anders ist ... 

Roland Portmann, reformierter Pfarrer

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