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Die drei Sterndeuter und Magier kommen nach Volketswil

Erstellt von Gina Schibler, reformierte Pfarrerin | |   Unsere Zeitung

Kasper, Melchior und Baltasar sind im Nebel unterwegs, es wird dunkel. Balthasar: «Hier kommt nichts mehr, Kollegen. Lasst uns umkehren. Seht ihr die Autobahn, daneben ein riesiges Haus.» Buchstabiert: «Einkaufszentrum. Volkiland. Alles hell erleuchtet, aber kein Stern weit und breit.» Melchior: «Nein schau doch, da ist der Stern! Den, den wir aus den Augen verloren haben.» Kasper schüttelt den Kopf. «Du irrst dich. Das ist eine Leuchtreklame, die unseren Stern als Werbung benutzt. Halte die Augen offen: Unser Stern ist am Himmel zu sehen.

Lass dich nicht ablenken.» Melchior, leise schimpfend: «Aber sieht doch toll aus. Ich habe Hunger. Vielleicht gibt es dort etwas zu essen.» Laut: «Wir sind schon weit gewandert. Wie geht es euch?» Kasper: «Wir haben ja auch Hunger. Doch geben wir es endlich zu: Wir haben uns verirrt.» Balthasar: «Vielleicht ist alles ein Irrtum, und da ist kein Kind geboren. Nicht in diesem Kaff, es ist so zugebaut mit Autos, Häusern und Strassen.» Melchior: «Wir suchen doch nach dem neugeborenen König. Der kommt nicht in einem Stall oder auf dem offenen Feld zur Welt. Lasst uns in dieses Zentrum gehen. Ein richtiger Palast! Vielleicht treffen wir ihn dort an?» Die drei binden ihre Kamele am Veloständer vor dem Eingang an. Die Glastür, vor der sie stehen, geht wie von Zauberhand von selber auf! Sie staunen und treten ein. «Wunderschöne farbige Blätter auf glattem Feld. Ein ganzer Wald! So schön – können wir uns hier niederlassen?» Melchior: «Das heisst Bildschirm. Und nein, das ist kein Wald. Das ist nur Fassade. Braucht viel Energie und bringt nichts. Weiter!» Kasper: «Kommt alle, hier kann man an einem Wettbewerb teilnehmen. Lasst mich, vielleicht gewinne ich einen Teller Suppe!» Spielt. Kasper, enttäuscht: «Oh nein, ich habe eine Handkreme gewonnen. Das brauche ich doch nicht!» Melchior: «Diese vielen Kleider! Ganz anders als unsere: Bunt und farbig. Die Leute hier müssen reich sein. Aber weit und breit kein neugeborener König.» Kasper, bewundernd: «Da hat es eine Treppe in den Himmel, sie fährt von selber. Lasst uns hochfahren, sie bringt uns sicher zum König.» Oben angekommen, schauen sie sich um. Auch hier vor allem Kleider, und – eine Apotheke. Melchior: «Kommt, dieses Wort kenne ich, das ist Griechisch. Auch unsere Geschenke für den König sind Heilmittel. Weihrauch und Myrrhe heilen Menschen. Vielleicht nimmt die Apotheke unsere Heilmittel ins Sortiment auf?» Sie gehen hinein. Der Apotheker wiegelt ab: «Nein danke, wir bieten nur erstklassige Ware an. Schulmedizin. Euer Kram nützt doch nicht. Und bitte verwendet Masken, die sind obligatorisch.» Die Drei: «Masken? Wofür? Oh – eine Pandemie? Eine länderübergreifende Seuche? Wie schlimm.» Sie binden sich Tücher um den Mund. Nun sehen sie nicht mehr wie Könige, sondern wie von der Reise zerlumpte und abgekämpfte Räuber aus. Man riecht den Duft ihrer Tiere. Die Drei: «Wir sind Könige – übrigens! Und Magier. Und Sterndeuter.» Apotheker: «Und offensichtlich auch Masken- und Coronaleugner, was? Nichts wie raus aus dem Volkiland, ihr habt hier nichts zu suchen. Eure Tücher entsprechen nicht den Sicherheitsvorschriften? Nicht BAG-geprüft! Was sucht ihr überhaupt hier?» Die drei werden rausgeworfen und stehen vor einer Bank. Ein Bankbeamter tritt auf sie zu. Die Drei: «Wir suchen das Christkind. Den neugeborenen König.» «Den gibt es hier nicht zu kaufen. Weihnachtsgeschenke ja, Tannenbäume bitte draussen. Und bei uns läuft ein prima Sonderangebot – drei Wochen Bankkonto ohne Gebühren. Später dann halt der doppelte Tarif für den Rest des Jahres.» Die Drei: «Wir wollen nichts kaufen.» Banker: «Was, ihr habt kein Geld? Dann raus mit euch!» Die Drei: «Wir haben kein Geld, aber dafür Gold.» Die Augen des Bankers beginnen plötzlich zu glitzern: «Gold! Dessen Wert ist im letzten Jahr unglaublich gestiegen. Eine prima Geldanlage – Bargeld bringt bald nur Negativzins, aber Gold ist die Anlage der Stunde. Kommen Sie zu uns, wir verwahren Ihr Gold sicher.» Die Drei: «Es ist jetzt schon sicher, wir haben es unter dem Sattel versteckt.» Banker: «Sattel? Und wo stehen die Tiere jetzt? Und was, wenn Sie schlafen? Viele hat die letzten Monate arm gemacht – Diebstahl nimmt zu. Sie brauchen ein Bankschliessfach. Wir bieten Sicherheit.» Die Drei: «Nein! Das Gold gehört dem neugeborenen König. Das ist unser Geschenk! Basta!» Banker, jammernd: «Aber Gold verschenkt man doch heutzutage nicht. Das legt man an, damit wuchert man. Wissen Sie, was ein Gramm Gold, zu Christi Geburt angelegt, heute Wert wäre?» Drei, interessiert: «Nein. Wir kommen von damals.» Banker: «Nun, das wäre heute drei Millionen wert.» Drei: «Drei was?» Banker: «Ja. Zins und Zinseszinseffekt.» Die Drei: «Du spinnst ja. Damit werden diejenigen, die Gold haben, immer reicher. - Nein nein, wir legen unser Gold nicht in deinen Tresor, wir verkaufen es auch nicht, du kannst uns gestohlen bleiben mit deinem Zinseszins, wir verschenken es dem Messias. Er wird es brauchen im Leben. Er ist ja arm wie eine Kirchenmaus.» Banker, jammernd: «Nein, nur das nicht! Verschenken ist ganz schlecht. Das vermasselt das Geschäft eures Lebens. Ihr würdet unermesslich reich.» Die Drei, würdevoll: «Wir sind bereits reich. Reich an Liebe. Wir investieren ins beste Geschäft des Lebens – in den Messias, den Friedensfürsten.» «Ach was! Kriegsgeschäfte bringen mehr Geld.» Der Banker zieht sich enttäuscht zurück. Die drei ziehen hungrig weiter, ihr Magen knurrt. „Allein die Myrrhe haben wir niemandem angeboten – vielleicht sind sie daran interessiert? Vielleicht haben sie hier auch so etwas, das an die Myrrhe herankommt? Unsere Myrrhe wirkt berauschend. Bieten sie hier auch Rauschmittel feil?» Kasper, aufgeregt: «Ja, schaut nur – Wein!»Sie betreten eine Spirituosenabteilung, in der sich viele Leute mit Schnaps und Wein für die Festtage eindecken. Melchior blickt staunend im Laden umher. «Schnaps, Likör, Alkohol – so weit das Auge reicht! Und wie viele Leute hier einkaufen – dieser Laden ist voller als alle anderen.» Balthasar, resigniert: «Keine Myrrhe. Unser Mittel kennen sie nicht.» Die Drei, verwundert: «Wollen sich die Menschen etwa besaufen und zudröhnen an Weihnachten? Aber mit unserer Myrrhe kämen sie Gott näher, ohne sich zu betäuben!» Die Verkäuferin im Schnapsladens, welche mitgehört hat, tritt traurig auf die drei zerlumpten Gäste zu: «Schon wahr. Trotzdem ist der Alkohol ein Segen und wird heuer gekauft wie wild. In dieser Weihnachten sind viele Leute traurig und einsam: Jämmerliche Weihnachten. Schnaps tröstet.» Die Drei: «Ach was - Schnaps macht betrunken. Aber warum ist denn Weihnachten so schlimm? Warum kaufen die Leute so viel Alkohol?» Verkäufer: «Halt wegen Corona. Nicht mal Stille Nacht Heilige Nacht dürfen sie singen – wegen den Aerosolen. Sie sollten so wenig Freunde wie möglich treffen. Aber bald müsst ihr hier raus: Der Lockdown beginnt.» Die Drei: «Oh, das schliesst?» Verkäuferin: «Ja. Noch nicht davon gehört? Die Ansteckungen steigen und steigen.» Die Drei: «Wie schön! Die Ansteckung mit der Kraft der Liebe und des Lichtes? Ja, das Licht wird jeden Tag stärker. Und der Stern draussen – hast du ihn wahrgenommen? Er bringt Hoffnung und zeigt uns den Weg.» Verkäuferin: «Nein, mit Corona! Ihr seid drei Corona-Leugner, was? Oder schlimmer noch: Konsumkritiker, die Weihnachten als ritualisierten Höhepunkt des westlichen Kapitalismus beschimpfen, mit heiligem Konsum und heiliger Heterofamilie – eben gerade gelesen in 20 Minuten. Was soll das heissen, was meint ihr damit? Unsere Jobs hängen doch davon ab! Wenn hier das Weihnachtsgeschäft nicht läuft, werden hundert Menschen arbeitslos.» Kichert. «Mein Job ist krisensicher, da könnt ihr Gift darauf nehmen. Oder Schnaps, ist netter.» Die Könige, verstört: «Aber dann feiert ihr nicht Weihnachten. Dann begeht ihr ein Fest der Angst, nicht der Hoffnung.» Sie beraten sich. «Kommt, wir ziehen raus! Hier drinnen, in diesem Palast, ist das Christkind nicht zu finden. Aber draussen könnten wir das Fest der Liebe feiern. Und vielleicht finden wir den König. Kommt, wir laden die Verkäuferin, den Apotheker und den Banker ein. Die Menschen sind traurig – wir helfen ihnen.» Könige, laut, per Megaphon im Volkiland: «Wir feiern draussen! Wir geben einen aus. Keinen Alkohol – aber Weihrauch und Myrrhe. Duftet schön – und macht Stimmung. Und ein bisschen vom Gold versilbern wir – für das Fest.» Hanna, ältere Frau, aufgeregt: «An der Java-Strasse hat eine syrische Flüchtlingsfrau heute ein Kind geboren. Es ist noch ganz klein und verletzlich. Der Messias? Könige: «Nichts wie los!» Sie binden ihre Kamele los und ziehen mit dem Banker, dem Apotheker und der Verkäuferin gemeinsam hinter Hanna her. «Wir feiern draussen! Drinnen wütet offenbar eine Seuche, draussen feiern ist besser.» Hanna: «Nicht mehr als 15 Personen sind erlaubt!» Könige: «Jaja, wir sind ja auch nicht mehr. In diesem Jahr sind es halt weniger – so wie damals übrigens, bei der allerersten Weihnacht. Da waren es auch nie mehr als 15. Es kommt nicht auf die Anzahl an. Wo zwei oder drei…» Sie halten in der Java-Strasse an. Eine ärmlich gekleidete Frau mit einem Bündel im Arm tritt nach draussen. Könige, staunend: «Der Messias! Wir haben den Messias gefunden.» Sie blicken zum Himmel hoch, über ihnen steht die Sternen-Konjunktion Saturn-Jupiter. «Und seht: Der Stern von Betlehem! Wir sind angekommen.» Alle jubeln. Die Könige legen den Finger auf den Mund: «Psst – hört ihr es? Mitten im Lockdown reisst der Nebel auf und es öffnet sich der Himmel. Hört ihr die Engelschöre?» Ehre sei Gott in der Höhe, Frieden auf Erden – und den Menschen ein Wohlgefallen. Alle jubeln gerührt. Die Könige: «So ist es doch noch richtig Weihnachten geworden. Und das in Volketswil, als wir schon glaubten, wir hätten uns verirrt! Doch hier wohnt eben – das Volk, das dem Christkind nahe ist.» Die Engel verschwinden langsam wieder im Himmel. Der Stern von Betlehem jedoch leuchtet und leuchtet.

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