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Die Berufung zum Schamanen und das Priestertum aller Gläubigen

Erstellt von Roland Portmann, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

Das Schwerpunktthema in meiner Prüfung in Religionswissenschaft während meines Studiums war Schamanismus: ich war fasziniert von dieser Glaubens- und Gedankenwelt und tauchte in ein archaisches Universum ein.

Vor allem die Frage, wer und wie man Schamane wird beschäftigt mich: Man geht hier nicht einfach in eine Schule oder macht einen Migros-Abendkurs und hat mal so das Gefühl, das wäre auch noch was für mich. Auch hier wird man wie in andere geistliche Funktionen wie zum Beispiel dem Priester- oder Pfarramt «berufen». Eine Gemeinschaft, mein Stamm, bestimmt mich dazu: stirbt der oder die alte Schamanin, so sucht man innerhalb der Gemeinschaft jemanden, der den Anforderungen dieser Funktion genügen kann. Ich bewerbe mich also nicht, oder «fühle» mich selber dazu erwählt- ich werde bestimmt. Eine Gemeinschaft «beruft» mich, mutet mir die damit verbundene Aufgaben zu, indem sie in mir die dazu notwendige Veranlagung und die dazu notwendigen Fähigkeiten sieht.

Auch im Christentum wird man in eine geistliche Funktion berufen: Ich kann nicht einfach so nur von mir aus sagen, ich fühle mich zur Priesterin, zum Pfarrer berufen; die Gemeinschaft, hier die Kirche prüft diesen Anspruch und bestimmt, ob ich für dieses «Amt» geeignet bin. Schamanin, Priester oder Pfarrerin kann man also nicht einfach so aus eigenem Willen werden. In der reformierten Kirche gilt das «Priestertum alles Gläubigen»: hier beruft Jesus Christus durch seinen heiligen Geist selbst alle Christinnen und Christen in ein «geistliches» Amt durch die Taufe, das heisst alle getauften Christinnen und Christen sind vor Gott wie Priester. Das heisst aber auch, dass alle getauften Christinnen und Christen unmittelbaren Kontakt zu Gott haben und es keine priesterlichen Mittler braucht. In der Reformation wurde dieser Gedanke sogar noch weiter gedacht: Das Priestertum aller Gläubigen heisst nicht, dass jeder alles kann; nicht jeder kann per se Predigen oder Unterrichten, aber jede und jeder hat auch mit seinem Alltagsgeschäft eine «priesterliche» Funktion: Wenn ich meiner Arbeit als Hufschmied, Bäuerin, Maurer, aber auch als Lehrer oder Lehrerin, oder Pfleger gerne nachgehe und meine Aufgabe mit Herzblut erfülle, so ist das auch gottgefällig uns somit «priesterlich»: ein guter und motivierter Bäcker ist somit vor Gott auch so etwas wie ein Priester, denn er oder sie trägt etwas zum Gelingen und Funktionieren unserer Gemeinschaft bei!

Wir alle werden von Gott zu Priesterinnen und Priester berufen- was für ein toller Gedanke! 

Roland Portmann, reformierter Pfarrer

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