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Der Verräter im inneren Kreis

Erstellt von Roland Portmann, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

In seinem Werk «Die göttliche Komödie» verfasste der italienische Dichter Dante Alighieri eine Art «Landkarte» der Hölle: Die Hölle ist in neun konzentrische Kreise eingeteilt und in deren Mittelpunkt steht Luzifer, der Teufel und Höllenfürst. Je näher man dem Mittelpunkt kommt, umso grösser die Missetat, die Sünde. Interessant ist hier, wer im innersten Kreis, also dem Teufel, am nächsten steht beziehungsweise welche die schlimmste aller Sünden ist: Es ist das nicht – wie vielleicht erwartet – ein Räuber oder Mörder oder gar ein Gotteslästerer; im inneren Kreis, dem Teufel, am nächsten steht Judas.

Judas Iskariot, zuerst glühender Anhänger und Mitglied des engsten Freundeskreises um Jesus, der zwölf Jünger. Judas Iskariot, der Jesus dann für 30 Silberlinge an den Hohepriester verrät und ihn an die Römer mit dem Judaskuss ausliefert. Judas der Verräter. Verrat ist die schlimmste aller Sünden? Warum sieht das Dante so? Vertrauen ist die Grundlage unserer menschlichen Koexistenz: Ohne gegenseitiges Vertrauen können wir Menschen nicht miteinander in Frieden leben. Wir müssen uns auf andere Menschen verlassen können: auf unsere Eltern, unsere Partner und Partnerinnen, unsere Freunde und Familien, aber auch in der Öffentlichkeit; wir müssen uns darauf verlassen können, dass es mein Gegenüber mit mir «ehrlich» meint und sich an sein Wort hält. Ich muss auf die Liebe meiner Eltern, meiner Partnerin, meiner Familie und Freunde zählen können, eben vertrauen können. Wird dieses Vertrauen enttäuscht, ja findet hier sogar aktiv und vorsätzlich Verrat statt, so erschüttert das die Grundfesten unseres Zusammenlebens. Verrat in der Familie, unter Freunden, in der Liebe und auch in der Öffentlichkeit sind Gift für unser Zusammenleben. Fehlt das Vertrauen, ist ein Miteinander kaum mehr möglich – deshalb steht Judas, der Verräter, im inneren Kreis beim Teufel. Verrat ist das Schlimmste, was wir selber tun und uns selber widerfahren kann – aber es passiert; wir Menschen sind nicht perfekt, wir enttäuschen andere und werden von anderen enttäuscht – die Bibel nennt das auch Sünde. Wie gehen wir aber mit Verrat, dem verübten und dem erlittenen, um? Eine einfache Antwort gibt es hier nicht... Manchmal ist ein gemeinsames Miteinander kaum oder gar nicht mehr möglich, nämlich dann, wenn der Verrat zu schwer wiegt, die Verletzung zu tief ist. Manchmal heilt die Zeit vielleicht Wunden, aber die Narben bleiben. Manchmal helfen Reue und Einsicht und Vergebung ist möglich. Gerade der christliche Glaube, ja Jesus selber zeigt uns, wie Vergebung und Versöhnung möglich sind. So lehrt er uns im Unser Vater: «... und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig werden ...» Durch Einsicht und Eingeständnis in das eigene Versagen und das Versagen anderer und die Bitte um Vergebung kann Leben in Gemeinsamkeit wieder möglich werden. Im innersten Kreis steht der Verräter: Hüten wir uns also davor, selber einer zu werden, und Gott bewahre uns davor, selber verraten zu werden! 

Roland Portmann, reformierter Pfarrer

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