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«Der April macht, was er will – und wir Menschen auch?»

Erstellt von Tobias Günter, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

Bestimmt haben Sie diese Metapher in Bezug auf das Aprilwetter, das uns so manchen Streich spielt, schon mehrmals gehört. Wahrscheinlich wollen Sie, nach dem langen Osterwochenende, nochmals ein langes Wochenende in Anspruch nehmen, müssen sich aber wohl oder übel bis Auffahrt und/oder Pfingsten gedulden.

Den eigenen Willen durchzusetzen, ist hierzulande, wenn auch in gewissen Situationen notwendig, eher negativ behaftet. Eher sind wir in der Schweiz auf Vielstimmigkeit angelegt. Wir schätzen Kompromisse und Verhandlungen. Aufgrund unserer Verpflichtungen im Alltag schätzen wir zudem Berechenbarkeit, welche, dank unseres vorsichtig-schweizerischen Taktierens, bei uns schnell zu finden ist. Versicherungen in jeglichen Bereichen, Alters- und Gesundheitsvorsorge sowie langfristige Miet- und Arbeitsverträge sind einige Beispiele für unsere Vorsichts- und Berechenbarkeitskultur. Manchmal wäre es zweifelsohne viel einfacher, einem einzigen Ziel zu folgen und die gesamte Energie und die komplette persönliche Willensanstrengung nur dafür aufzuwenden. Denn aufgrund unserer vielen Kleinziele und Auswahlmöglichkeiten merken wir doch manchmal gar nicht mehr, was Priorität hat. Wir wollen von allem ein bisschen und dann aber auch wieder nicht. Dies hat wohl damit zu tun, dass wir uns vor radikalen Veränderungen und Willensanstrengungen scheuen. Wenn wir Veränderungen wollen, wägen wir ab. Wie viel Veränderung darf’s denn sein? Was ist gut machbar? Was ist zu viel, zu anstrengend, zu unangenehm und risikobehaftet? Eine wohltuende Veränderung kann der Wille sein, sich spirituell zu öffnen: Das bekannte Taizé-Lied «Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden» bietet dafür eine einfache Grundlage. Text und Musikform stimmen bei diesem Kanon in selten erreichtem Mass überein. Es sind essenzielle Worte christlicher Spiritualität, die der Wiederholung und der harmonischen Einübung bedürfen. Vielleicht sagen Sie jetzt: «O nein, zu fromm, zu viel Kirche, zu absolutistisch und einengend.» Das in diesem Kanon beschriebene biblische Menschenbild ist ein anderes. Es lässt Raum für Freiheit. Jeder Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen und einzigartig. Jeder Mensch hat dieser Welt etwas zu sagen. Deshalb soll ich mich ihm öffnen. Die eigentümliche Metapher wird jetzt klar: Meines Herzens Ohr ist diese aktive, wache Offenheit, die ich jedem Menschen entgegenbringen soll, da er mich und die Welt bereichert. Dadurch suche ich bewusst den Frieden, trage zu einem friedlicheren Zusammenleben bei. Damit dies aber geschehen kann, muss ich zuerst schweigen und hören, was in mir und um mich herum geschieht.

Tobias Günter, reformierter Pfarrer

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