Einige Wochen konnten wir uns einrichten mit Telefonanrufen und Videochats, aber der Trost der körperlichen Nähe fehlt vielen Menschen. Es scheint zynisch, dass man plötzlich durch Umarmungen und Küsse sterben könnte. Vorsicht ist lebensnotwendig, doch selten wurde es den Menschen so klar, dass sie aufeinander angewiesen sind. Das «Ich» braucht das «Du», um überhaupt denken und überleben zu können. Ohne soziale Interaktion und Nähe, kann kein Kind heranwachsen. Wir werden erst zum Menschen im Austausch mit den anderen. Kaum einer kann über Jahre in einer Einsiedelei leben. Meist gelingt das nur sehr gläubigen Menschen, die auf besondere Weise spüren, dass Gott das «Du», auf das sie angewiesen sind. Dass Menschen überhaupt erst existieren können durch ihr Gegenüber, drückte Hilde Domin auf zarte Weise in ihrem Gedicht «Es gibt dich» aus:
«Dein Ort ist, wo Augen dich ansehen.
Wo sich die Augen treffen, entstehst du.
Von dem Ruf gehalten, immer die gleiche Stimme.
Es scheint nur die eine zu geben, mit der alle rufen.
Du fielst, aber du fällst nicht. Augen fangen dich auf.
Es gibt dich, weil Augen dich wollen, dich ansehen und sagen, dass es dich gibt.»
Ich wünsche uns in dieser schweren Zeit, dass wir uns mit unseren Augen und Worten auffangen, bis es endlich wieder möglich sein wird, uns mit unseren Armen aufzufangen.
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