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Reise nach Jerusalem

Erstellt von Alexander Vitolic | |   Unsere Zeitung

Pfarrer Roland Portmann unternahm zusammen mit seiner Familie im Sommer 2018 eine zweimonatige Studienreise nach Israel. Über seine Erfahrungen berichtete vor kurzem in einem Vortrag vor interessierten Gemeindemitgliedern. Wir haben den reformierten Volketswiler Pfarrer danach zu einem Gespräch getroffen.

Volketswiler Nachrichten: Sie sind anlässlich Ihres Sabbaticals 2018 für zwei Monate nach Jerusalem gereist. Warum haben Sie sich für diesen Ort entschieden?
Roland Portmann: Jerusalem und Israel sind die Geburtsstätten des Christentums. Mich fasziniert die Mischung aus Orient und Okzident: Die drei abrahamitischen Religionen haben hier ihre Wurzeln und beanspruchen ihre heiligen Stätten. Der Staat Israel gilt als die einzige westliche Demokratie im Nahen Osten und trotzdem ist der Judaismus allgegenwärtig. Ich habe das Land bereits vorher mehrmals bereist, habe dort auch einmal an Ausgrabungen teilgenommen. Da ich vieles «Touristische» schon kannte, konnte ich mich auf Jerusalem und das dortige alltägliche Leben konzentrieren.

Wie haben Sie diesen Alltag erlebt?
Der Alltag in Jerusalem ist geprägt durch die strengen religiösen Regeln des Judentums: Als Pfarrer ist mir ist dabei bewusst geworden, wie brisant die Botschaft von Jesus ist, wie revolutionär er gehandelt hat: Jesus hat Grenzen überschritten, indem er am Sabbat geheilt hat und indem er mit Nichtjuden, Unreinen, Sündern und Frauen verkehrt hat. Jesus hat sich mit dem politischen und dem religiösen Establishment angelegt und sich vom Tempelkult distanziert. Trotzdem war er auch ein gläubiger Jude, der auf die Schrift, die Thora und die Propheten verwiesen hat.

Sie reisten zusammen mit ihrer Frau und ihren zwei kleinen Kindern. Ist das nicht gefährlich?
Wir haben uns in Bezug auf die Sicherheit im Vorfeld natürlich informiert und haben uns auch vor Ort ständig mit der Studienleitung oder unserer Vermieterin über unsere Pläne ausgetauscht. Jerusalem hat eine kleinere Kriminalitätsrate als London und die medizinische Versorgung, gerade in Bezug auf Kinder, ist vorzüglich. Wir sind als Familie mehrfach und gerne in das arabische Viertel, den dortigen Markt und nach Ostjerusalem gegangen: Wir waren überall gerne gesehen und hatte nie Probleme. Während meinen Ausflügen nach Hebron, Ramallah, Jericho und anderen Orten in der Westbank blieben meine Frau und die Kinder aber in Jerusalem.

In Ihrem Vortrag beschreiben Sie Ihre Erfahrungen religiöser und kultureller Spannungen eindrücklich.
Die israelische Bevölkerung ist in sich gespalten und zerfällt in verschiedene Gruppen. Der Konflikt mit den Palästinensern ist sehr gegenwärtig. Wir waren mit unseren Kindern auf einem Spielplatz und plötzlich tauchten zwei junge israelische Polizistinnen auf: Sie kontrollierten ein paar Jugendliche, die friedlich auf einer Parkbank sassen – offensichtlich Palästinenser. Die jungen Frauen hielten ihnen Maschinengewehre unter die Nase, während sie ihre Papiere kontrollierten. Es war eine klare Machtdemonstration. Eine Aussage unserer Vermieterin zeigte das Gegenteil: Als Israeli könne sie weder in die Westbank, Ostjerusalem oder gar in den arabischen Teil von Jerusalem gehen; ihre Sicherheit wäre dort nicht gewährleistet.

Sie zeigen ein gewisses Verständnis für beide Seiten.
Redet man mit den einen, so kann man ihre Sicht der Dinge verstehen. Redet man mit den anderen, so scheint auch da vieles plausibel. Die Situation scheint sich gegenwärtig in einer Sackgasse zu befinden. Auch wenn ich grosse Sympathien für die Vision des Staates Israel habe, sehe ich mich als Christ in der Pflicht, auf die Schwächeren hinzuweisen – und das sind in diesem Fall die Palästinenser, zumindest im Westjordanland.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Ich hoffe natürlich auf einen dauerhaften Frieden, bin mir aber nicht mehr sicher, ob der heutige Staat Israel 100 Jahre alt wird. Bevölkerungsmässig werden die arabischen, wahlberechtigten Israeli, die Muslime also, in zwanzig Jahren in der Überzahl sein – die Palästinenser sind es eigentlich heute schon. Auf demokratische Art und Weise wird die Sonderstellung des jüdischen Bevölkerungsteils auf längere Sicht nicht mehr haltbar sein.

Sondern?
Israel könnte sich zu einem Apartheidstaat entwickeln. Die Regierung verfügte erst kürzlich über ein Gesetz, das unter anderem besagt, dass Hebräisch die einzige Amts- und Landessprache ist. Strassenschilder zum Beispiel werden in Zukunft nicht mehr auf Arabisch angeschrieben. Das läuft faktisch auf eine Diskriminierung hinaus, wie wenn Sie Rätoromanisch oder gar Französisch landesweit als Amtssprache verbieten würden. 

Die Auffassungen über Frieden gehen klar auseinander.
Mauern lösen dauerhaft keine Konflikte, aber sie können die Lage für kurze Zeit entspannen: Die Terrorattacken in Jerusalem sind durch den Bau von Mauern im Osten und die Errichtung von neuen Checkpoints zurückgegangen. Eine dauerhafte Lösung kann das aber nicht sein, wenn man einen Grossteil der Bevölkerung einfach wegsperrt.

Sie sagten, dass die Bevölkerung tief gespalten sei?
Absolut. Die Arbeit der Organisation «Breaking the Silence» finde ich in diesem Zusammenhang als sehr aufschlussreich: Sie sammeln und veröffentlichen Berichte von ehemaligen, israelischen Soldaten über ihren Dienst in den besetzten Gebieten. Sie haben die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung miterlebt. Diese jungen Männer sehen selber, dass diese Besatzungspolitik so nicht mehr weitergehen kann.

Was hat Ihre Erfahrung Sie über das Zusammenleben der Kulturen in unseren Längengraden gelehrt?
Begegnungsräume zu schaffen, um miteinander in Kontakt und ins Gespräch zu kommen, ist essentiell: Das gilt für den Vielvölkerstaat Israel genauso wie für den Vielvölkerstaat Schweiz. Institutionen wie die politische Gemeinde, die Schule, aber auch die Kirchen sind hier wegweisend. Das Leben im Alltag in Jerusalem ist durch die Mauern und die Checkpoints sehr eingeschränkt: Alltägliche Begegnungen, die für einen natürlichen Austausch notwendig wären, können praktisch nicht stattfinden. 

Was hat die Erfahrung dieser Reise mit Ihnen persönlich gemacht?
Der Konflikt hat mich sehr aufgewühlt, doch ich musste auch sagen: Es ist nicht mein Konflikt, auch wenn er mich als Mensch und Christ angeht. Die Menschen im Nahen Osten müssen selber eine Lösung finden. Die Weltgemeinschaft muss Ihnen aber die Hand dafür reichen. Hier in der Schweiz leben wir im Vergleich zum Nahen Osten in einem behüteten Freizeitpark. Ein Privileg, das wir schätzen und geniessen dürfen, das uns aber auch zur Hilfe verpflichtet.

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