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"Meine Nerven...." - Wir sind eine ungeduldige Gesellschaft

Erstellt von Roland Portmann, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

Wie haben Sie es mit der Geduld? In manchen Dingen kann ich persönlich sehr nachsichtig und geduldig sein und in anderen eher nicht. So stört es mich selber nicht, in einer Schlange anzustehen oder auf jemanden zu warten… auch bei fremden Menschen, Menschen also, die ich nicht so gut kenne oder die mir nicht so nahestehen, bin ich sehr nachsichtig.

Interessanterweise ist das bei meinen engeren Bezugspersonen anders: bei meiner Frau oder meinen Freunden oder natürlich ab und zu auch bei den eigenen Kindern ist der Saldo an Geduld kleiner… von ihnen erwarte ich anscheinend mehr und die sollten ja schliesslich wissen, was ich von ihnen will!

Geduld scheint gerade auch in unserer Gesellschaft eher ein rares, begrenztes Gut zu sein: Wehe, der Bus kommt fünf Minuten zu spät oder der Tag verläuft nicht genau nach dem Drehbuch in meinem Kopf, so wie ich es mir zu recht gelegt habe! Auch warten wir hier in der Schweiz «schnell», wobei «schnell Warten» wohl ein Ausdruck davon ist, dass eben nur eine kurze Unterbrechung des geplanten Ablaufs erlaubt ist und die dafür bereitgestellte Zeit sehr gegrenzt. Auch bei existentiellen Ereignissen wie Geburt oder gar Tod ist unsere Geduld «begrenzt»: Die zugestandene Elternfreude in Form des Elternurlaubes oder die zugestandene Zeit, trauern zu dürfen, sind sehr kurz bemessen…

Wir sind eine ungeduldige Gesellschaft und das verschärft sich während der gegenwärtigen Pandemiekrise noch. Es wird uns in der gegenwärtigen Situation sehr viel abverlangt als Gesellschaft und im Privatem. Der Belagerungszustand durch Covid 19 ist eine Zumutung. So wird von uns gerade jetzt viel Geduld und Durchhaltewillen gefordert- ob wir die haben oder nicht…

Auch die Bibel ist voll mit «Durchhalte- Geschichten», die von Menschen Geduld fordern: So müssen Sara und Abraham zuerst quasi steinalt werden, bevor sie ihren Nachwuchs bekommen. Das Volk Israel muss zuerst 40 Jahre durch die Wüste ziehen, bis sie ins gelobte Land kommen. Das Volk Israel hofft im babylonischen Exil auf eine baldige Heimkehr und schlussendlich unter der zermürbenden Fremdherrschaft zuerst der Assyrer, dann der Babylonier, der Perser und schlussendlich der Römer auf ihren Befreier, den Messias! Jesus selber hofft auf das heranbrechende Gottesreich und Paulus auf die baldige Rückkehr des Herrn…

Das Leben oder auch Gott, könnte man hier sagen, verlangen den Menschen viel an Geduld ab…aber sie schenken auch Hoffnung! Die Hoffnung eben auf die Geburt eines Kindes, auf das gelobte Land, die Heimkehr und auf den Messias! Die Hoffnung, dass es wieder besser wird, in unserer Situation wieder «normal» wird, ganz banal gesagt. So sagt Jesus ja auch zu seinen Jüngern und Jüngerinnen: «Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende der Welt.» Und so kann ich als Mensch und mit meinem Glauben an die biblischen Verheissungen hoffen, dass es eben wieder besser wird, wieder etwas «normaler» wird - auch wenn ich zuweilen ungeduldig bin.

Roland Portmann, reformierter Pfarrer

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