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"Machs na!"

Erstellt von Gina Schibler, reformierte Pfarrerin | |   Unsere Zeitung

Der Brand der Notre Dame in Paris mit den in Echtzeit übermittelten fürchterlichen Bildern erschütterte die Franzosen und wohl uns alle zutiefst. Ruft das Ereignis uns nicht in Erinnerung, welch kostbaren Schatz wir in Europa mit unseren uralten Kirchen, Kathedralen und Kapellen haben?

Unermessliche Kleinode stellen diese Bauwerke dar, uns zur Fürsorge überantwortet. Baumeister wie unzählige Steinmetze, Maurer und Handlanger vor uns haben sie geschaffen. Rainer Maria Rilke beschreibt es so: „Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister, und bauen dich, du hohes Mittelschiff. Und manchmal kommt ein ernster Hergereister, geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister und zeigt uns zitternd einen neuen Griff. Wir steigen in die wiegenden Gerüste, in unsern Händen hängt der Hammer schwer, bis eine Stunde uns die Stirnen küßte, die strahlend und als ob sie Alles wüßte von dir kommt, wie der Wind vom Meer. Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern und durch die Berge geht es Stoß um Stoß. Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los: Und deine kommenden Konturen dämmern. Gott, du bist groß.“

Die Stunde der Dämmerung, die der Visionär Rilke vor dem inneren Auge sieht, ist in Paris nicht gekommen, im Gegenteil. Nicht Vollendung, sondern Zerstörung war am Werk. Ein uraltes Kulturdenkmal wurde in wenigen Stunden ein Raub der Flammen. Ruinen gleich stehen die Überreste, die beiden Türme mit den tonnenschweren Glocken dem (Lösch)-Wasser schutzlos preisgegeben. In aller Trauer über das Zerstörte könnte dies auch Anlass sein, unsere sakralen Gebäude neu zu würdigen. Wer hat sie erbaut? Wer die Hämmer geschwungen, Steine geschleppt, Gerüste errichtet? Warum diese Bauwerke? Gott, du bist gross, sagen sie auf ihre Weise. Wir wissen nur eines: Jeder war stolz, mitzuarbeiten. Da gab es nicht nur einen Baumeister – Tausende von Handwerkern verwirklichten sich mit ihren Talenten am riesigen Bau: Der eine hämmerte aus Stein Ungeheuer und archaische Tierwesen, der andere war tätig für das Innere. Und mancher lernte zitternd einen neuen Griff. Es ist ein Hallen von den vielen Hämmern, ein Hallen durch Jahrhunderte, an so vielen Orten in Europa.

Am nördlichen Seitenschiff des Berner Münster – ein auf seine Art ebenfalls grossartiger Bau - steht neben der Statue eines Werkmeisters die Inschrift: Machs na! Mach es nach, wenn du es kannst. Was soll das, was meint das? Spass und Ulk? Stolz auf die geleistete namenlose Arbeit? Gesundes Selbstbewusstsein von Handwerkern? Die Würdigung der Zusammenarbeit vom Arbeiter bis zum Baumeister? Das Feiern der Gestaltkraft von Menschen? Notre Dame zeigt uns eine entgegengesetzte Möglichkeit: Das Feuer als Unglück, als menschliches Versagen oder Zufall, unabsichtlich Schätze vernichtet. Manchmal wirken Menschen in Kriegen, im Bombenhagel oder in Gewaltakten jedoch absichtlich zerstörerisch. Die bange Frage hallt in uns nach: Was bewirken wir Menschen? Schöpfung oder Zerstörung? Bauen wir heute etwa alle, Christen oder Nichtchristen, auf tiefere Art an einem Dom, an einer Kathedrale, wenn wir das menschliche Dasein hüten, die Klimahülle erhalten und pflegen? Jeder unserer Atemzüge erhält sie, jede Handlung hinterlässt Spuren: schädliche Klimagase, die Hülle zerstörend – oder ein lebensförderndes Netzwerk der Vielfalt. Sagt uns gegenwärtig gar das Lebens selber (oder Ruach, göttlicher Geist) spöttisch: Machs na? Mensch, der du meinst, gottähnlich die Welt nach deinem Gusto zu verändern - was bewirkt dein emsiges Tun?

Was Gesteine, Kleinstlebenwesen, Tiere, Pflanzen, und – erst ganz zum Schluss – Menschen im filigranen Miteinander gemeinsam erschufen: Die Erde, unser blauer Planet in grossartigen Schönheit und Einzigartigkeit – du bist daran es zu zerstören! Machs na! – wenn du meinst, Gott spielen zu können. Lehren uns etwa die jugendlichen Klimademonstranten, die monatlich zu Hundertausenden die Strassen mit Rufen und Plakaten bevölkern, genau dies: Sie kommen als ernste Hergereiste aus einer bedrohten Zukunft und zeigen uns zitternd einen neuen Griff. Wie wir anders leben könnten und sollten ohne zerstörerisches Wachstum. Das gemeinsame Werk des Wunders der Schöpfung bringt es auf seine Weise zu Ausdruck: Gott, du bist gross. Geht hoffentlich auch ein Glanz durch unsre hundert Geister! Oder beharren wir auf Komfort und Lebenshaltungen, auf die wir Anspruch zu haben vermeinen, aber die den aus der Zukunft Hergereisten den Atem zum Leben rauben? 

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