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Kleine Schritte, nicht der weite Sprung

Erstellt von Daniel Geevarghese, katholische Pfarrei | |   Unsere Zeitung

Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen sich viele, und sie haben das neue Jahr mit guter Hoffnung und Mut angefangen. Dennoch ärgern sie sich, wie ungerecht und unheil unsere Welt ist. Sie sind traurig, dass Strukturen und Gesetze übersehen und die Menschen mit ihren eigenen Problemen allein gelassen werden. Sie sehen, dass die Schwachen und die Armen unterdrückt und mehr und mehr an den Rand geschoben werden. Sie nehmen wahr, dass Natur und Klimakatastrophen, die von Menschen verursacht werden, die Zukunft bedrohen. So ist es auch beim Umgang mit der Pandemie. Menschen und Nationen gehen egoistisch damit um, es interessiert sie nur der eigene Vorteil. Als Einzelne oder Minderheiten fühlen sich viele zu hilflos und kraftlos, um diese Situationen zu ändern oder selbst damit zurechtzukommen. Aber wer macht denn noch etwas richtig, damit sie sich engagieren und mitmachen können? Politische Parteien? Kirchen? Organisationen?

Manchmal habe ich das Gefühl, wie wenn ich hilflos vor einem enorm grossen Berg stehe, der weggeschafft werden soll. Aber dann kommen mir auch die Worte Jesu im Matthäusevangelium (17, 20) gleich in den Sinn: «Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr zu diesem Berg sagen: Heb dich, geh dorthin! So wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.» Jesus hat selbst «den Berg» bewegt, in dem er die Wirklichkeit vom Reich Gottes mitten unter die Menschen gebracht hat. Die Herrschaft Gottes war zur Zeit Jesu schon das Urbild von all der Hoffnung und der tiefen Sehnsucht auf eine erneuerte und vom Bösen befreite Welt. Im jüdischen Glauben wird Gott sich entgegen allen negativen Erfahrungen am Ende durchsetzen und sein Reich errichten. Für Jesus ist das Reich Gottes die endzeitliche Selbstdurchsetzung Gottes, welche erst in der Zukunft sichtbar verwirklicht wird, aber schon gegenwärtig greift, und zwar in seinem Reden und Handeln. Das Reich Gottes spielt nicht in einer anderen Welt oder in einer anderen Zeit als der unseren. «Das Reich Gottes ist mitten unter uns.» Müsste die Welt nicht besser aus­sehen, wenn Gott der Herr ist? Weniger Krankheiten, weniger Leid, weniger Hunger? Müsste es nicht friedlicher und gerechter zugehen? Müsste den Tyrannen nicht wirksamer gewehrt werden, wenn Gott wirklich der Herr über Himmel und Erde ist? Schon mit der Wahl des Senfkorns als Gleichnis greift Jesus all die Zweifel am Reich Gottes auf.

Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist's das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird grösser als alle Kräuter und treibt grosse Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.

Matthäus (Mt 13, 31–32)

All den Einwänden gegen Gottes Herrschaft auf Erden setzt Jesus sein Senfkorn entgegen: So klein ist Gottes Reich. So winzig ist der Anfang. Man darf nicht alles auf einmal erwarten. Gewalt, Krankheit, Not sind der Normalfall. Dass aus kleinen Anfängen Grosses wird, das ist das Besondere. Dass Gottes Reich zunimmt, dass Gerechtigkeit wachsen und Frieden sich ausbreiten kann, das gilt es in den Blick zu nehmen. Jesus wirkte in seinem Umfeld, damit es sich so veränderte, dass es die Würdigkeit erlangte, Gottes Reich zu werden. Darum gab er den Hungrigen zu essen und heilte die Kranken. Ohne zu rebellieren oder zu resignieren, um in unserem Leben Sinn zu finden und diese Welt zu verändern, können wir uns vom Senfkorn-Gleichnis und von der Person Jesu inspirieren lassen. Eine kleine Fabel, die ich in letzter Zeit gelesen habe, zeigt, wie wichtig es ist, bewusst wahrnehmen, was uns gelingt, und dass es nur kleine Schritte sind, die da von uns verlangt werden, nicht der weite Sprung, die übermenschliche Leistung. Es herrschte einmal eine grosse Trockenheit in einem Land südlich der Sahara. Das Steppengras kümmerte dahin, die Tiere fanden kein Wasser mehr: Die Wüste war mächtig im Vormarsch. Selbst dicke Bäume und an Dürre gewohnte Sträucher sahen ihrem Ende entgegen. Brunnen und Flüsse waren längst versiegt. Nur eine einzige Blume überlebte die Trockenheit. Sie wuchs nahe einer Quelle. Doch auch die Quelle war dem Verzweifeln nahe. Sie fragte sich, wozu mühe ich mich einer einzigen Blume wegen, wo doch ringsum schon alles verdurstet ist? Da beugte sich ein alter knorriger Baum über die kleine Quelle und sagte: Niemand erwartet von dir, dass du die ganze Wüste zum Grünen bringst. Deine Aufgabe ist es, einer einzigen Blume Leben zu spenden, mehr nicht. Niemand erwartet von dir, dass du die ganze Wüste zum Grünen bringst. Und das gilt auch für uns heute noch. Keiner von uns muss eine Wüste zum Erblühen bringen. Aber jeder für sich allein, in seinem begrenzten Raum, kann schon vieles bewirken, wenn er hier versucht, das Gute zu tun. Tag für Tag an seinem Platz, in seinem Umkreis, unter seinen Mitmenschen. Sehen wir nicht schon viele «Senfkornpflanzen» und «Blumen» in unserem Lebensgarten, denen wir Leben geschenkt haben und noch schenken wollen? Freuen wir uns darauf! 

Daniel Geevarghese, Pfarrer katholische Pfarrei

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