Meine Gedanken wandern zu einem Freund, der grad gestern seinen Piks bekam. Er erzählte mir einmal, dass er sich im Studium bei langen Prüfungen immer als Einziger eine kurze Auszeit gönnte. Abgucken konnte man bei diesen Prüfungen nicht, deshalb hätten eigentlich alle rausgehen dürfen. Doch die anderen fanden, es sei der reine Irrsinn, zehn wertvolle Minuten zu opfern, bloss um sich die Beine zu vertreten oder vor einem offenen Fenster richtig durchzuatmen. Für meinen Freund hingegen war es unverständlich, dass die andern so lange verspannt in schlechter Luft sitzen blieben. Wie sollte man da eine gute Leistung erbringen? Für ihn ging es nach dem Unterbruch mit frischer Energie voran. Die zehn Minuten waren hervorragend investiert. Was ihm gar nicht so bewusst war: Um unter Zeitdruck rauszugehen, braucht es Mut. Und das Vertrauen, dass ein kurzes Entspannen nicht verlorene Zeit ist, sondern gewonnene. Natürlich müssen wir es nicht alle genauso halten wie er, wir gehören ja auch nicht alle demselben Pausentyp an. Während er in einem schwierigen Moment alles fallen lassen kann – und darauf baut, dass es in seinem Hinterkopf weiterarbeitet –, lasse ich am liebsten kurz los, wenn ich eine organische Einheit abgeschlossen habe. Der Schmerz im Oberarm holt mich zurück in die Apotheke. Allzu schlimm ist er nicht, mein Organismus zeigt keine heftige Reaktion. Dennoch waren die fünfzehn Minuten in der Warteecke hervorragend investiert. Sie haben mir an einem gewöhnlichen Wochentag etwas gebracht, was wir doch irgendwie fast immer nötig haben. Eine Viertelstunde lang Sonntag. Ich lächle der Apothekerin zu und schreite mit gesammelter Kraft zurück in den Alltag.
Franziska Ricklin, Sozialdiakonin, Reformierte Kirche
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