Viele Spitzenköchinnen und -köche veröffentlichen ja ganz gerne Rezepte. Wenn wir sie dann nachkochen, ist der Kuchen zwar fein, aber doch nicht ganz so wie bei Caminada. Liegt es am Gefälle des Talents oder hat mir der Zauberkünstler von Schloss Schauenstein vielleicht doch ein klitzekleines Detail verschwiegen, das nun den Unterschied ausmacht? Mit etwas Selbstbewusstsein lässt sich das Schicksal allerdings auch wenden. Dann schlägt mein Caramelchöpfli jenes des Meisters um eine Nasenspitze. Wie das? Das verrate ich natürlich nicht. Nur so viel: Sklavisches Rezeptenachkochen kann nicht der Gipfel der menschlichen Entwicklung sein. In der Kirche, ich meine jetzt meine römisch-katholische, ist dies anscheinend ganz anders, und die Geheimnisse sind so geheim wie die päpstliche Frühstücksflockenmischung. Nota bene: Ich schreibe jetzt über die Kirche und ihr Personal, nicht über Gott! Die kirchlichen Geheimnisse dienen oft dazu, dass niemand weiss, was das Rumpelstilzchen so treibt. So zum Beispiel bei der legendären Nichtwahl eines Nachfolgers von Bischof Huonder durch das Domkapitel vor ein paar Jahren. Die Protokolle des Domkapitels sind geheim. Ohne einen tapferen Whistleblower hätten wir von den Ränkespielen damals nur eine laienhafte Ahnung. Viel kirchliches Geheimnis ist auch im Rezept der Vertuschung all dessen, was anvertrauten Menschen nicht hätte angetan werden dürfen. Dass in der Kirche Menschen missbraucht werden, körperlich, geistig und geistlich, war bis vor wenigen Jahren ein unsagbares Geheimnis. Es ging so weit, dass oft Eltern von missbrauchten Kindern oder Jugendlichen wie blind waren gegenüber deutlichen Warnzeichen. Und im grossen Bauch der Mutter Kirche wurde all dies Unverdauliche, Giftige gemixt, verdaut und versteckt. Am letzten Dienstag wurde die Vorstudie zum sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Schweizer Kirche präsentiert. Damit wurde ein Fenster geöffnet mit der klaren Botschaft: Es wird jetzt hingeschaut! Mehr dazu erfahren Sie auf www.pfarrei-volketswil.ch, www.kirchgemeinde-uster.ch oder www.missbrauch-kath-info.ch. «Es wird jetzt hingeschaut» – ich sehe darin nicht nur eine längst notwendige Verhaltensweise, um Menschen vor Missbrauch zu schützen. Für mich hat es auch Alltagsrelevanz: Kirche ist nur Kirche, wenn sie mit den Menschen unterwegs ist. Was wir als Kirche in unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen leben, in den Untistunden und Kinderfeiern, den Taufen und Firmungen, den Publikationen und in all unserem Handeln, darf nicht im stillen Kämmerlein geköchelt werden. Kirche sind nicht nur die Angestellten oder gar die Kleriker. Die Kirche ist die aller Gläubigen. Und insofern die Kirche in unsere Gesellschaft eingebettet ist, ist sie eben auch relevanter Teil des Ganzen. Sie ist keine geheime Gegenwelt, kein Klüngel. Und an die Rechtsordnung des Staates muss sie sich ohnehin halten. Liebe Leserin, lieber Leser, wenden Sie sich nicht ab, schauen Sie hin, ich bin Ihnen dankbar dafür.
Zeno Cavigelli, katholischer Seelsorger
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