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Der unscheinbarste Müll gibt am meisten Arbeit

Erstellt von Arthur Phildius | |   Unsere Zeitung

Rund um den Erdball trafen sich letzten Monat unzählige Gruppen zum grossen Reinemachen vor Ort: Es war World Cleanup Day. In Volketswil und Uster wirkten die Cleanwalkers als motivierte «Sauberspazierer». Schon sie allein trugen enorme Mengen zusammen: speziell Zigistummel.

«Am schlimmsten sind die Zigaretten», gibt Eugen Rüegg beim Erklären des Sauberspazierens durch Hegnau zu. Wie sich eine Kippe mittels langer Greifzange aufheben lässt, zeigt der Mitgründer des Vereins Cleanwalkers vor: «Das muss man etwas üben.» Aber es lohne sich, stellt er in Aussicht: «Die Zigaretten zählen wir zuletzt.» Ihm hören 13 Erwachsene und vier Kinder seit 14 Uhr zu. Weitere 16 suchen seit einer Stunde den Zimiker Guntenbach und die Industriegleise ab. Weitere 31 haben am Samstagmorgen den Stadtpark Uster samt Umgebung gesäubert. «Ja, früher sagte man dem ‹Fötzele›», erinnert sich der andere Vereinsgründer von 2018, Michel Fässler. Doch nun sei es Zeit für einen modernen Auftritt, der auch junge Leute motiviere. Ein Video in sozialen Medien zeigt den Erfolg. Was auch an der Einsatzfreude von Fässlers Tochter Caro, einer jungen Pflegefachfrau, liegt.

Grosse Gefässe zum Sammeln

Eifrig, als ob es Rekorde zu jagen gäbe, schwärmen vier Gruppen in vier Richtungen aus, zwei mit Handwagen. Alle Teilnehmenden tragen gelbe Leuchtwesten mit Vereinslogo, Gartenhandschuhe, Greifzangen und weisse Sammeleimer: An ihnen hängen grosse, halsfreie Pet-Flaschen – bereit für vorerst unzählige Stummel. «Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt», ist das Motto der Cleanwalkers. Das setzen sie sofort um. Wie Daniel Decurtins mit Selina (6) und Matthias (4) an der Kindhauserstrasse: «Die gehört zu den schlimmsten Strassen», weiss Daniel vom Autofahren. «Ausgerechnet heute hat es aber fast nichts», sagt er vor dem Beck Fischer zunächst ernüchtert.

Die Greifzange krallt sich alles

Bald aber klauben die drei Debütanten immer mehr Fötzeli, Dosen und Stummel hervor. «Wir finden es eine gute Sache, aber sind noch nicht so trainiert», meint der Vater: im Umgang mit der langen Greifzange. «Ja, es ist etwas schwierig», lächelt Selina und verlässt sich erst auf ihre Hände. Aber sie lernt schnell und krallt sich einen Robidogsack aus einem Maisfeld. «Es läuft tipptopp», freuen sich auf der rechten Strassenseite Fredi und Ursi Läubli. «Es liegt genug Dreck herum.» Wie etwa zehn Stummel auf einmal: «So kann ich gleich stehen bleiben», grinst Fredi Läubli. Sie sammeln auch Flaschen, Dosen, Becher, Folien und Masken ein. «Aber Zigarettenstummel hat es schon am meisten.» Anders als bei der ihnen vertrauten Waldputzete. «Man kann die Leute darauf aufmerksam machen», hoffen sie auf ihr Signal gegen achtloses Wegwerfen von Abfall: Littering.

Von gleichgültig bis dankbar

Danach strahlt Decurtins und schwenkt eine Zwanzigernote: «Wir haben von einem Passanten eine Spende für den Verein erhalten. Das ist doch super und motiviert dazu, weiterzumachen und auch mal jemandem etwas zu sagen.» Im dichten Verkehr wirken viele Lenker gleichgültig, andere staunen. Warum einige hupen, bleibt offen. Daniela Berger befürchtete, bald würde sie jemand mit Kippen bewerfen. «Aber in der gleichen Minute, als wir einander das sagten», so Petra Steinlehner, «senkte jemand die Autoscheibe und sagte uns Danke.»

Zermürbendes und Exotisches

Das tut gut, wenn frau wie Steinlehner «müde vom vielen Bücken» ist: «Das kleine Zeug ist zermürbend. Ich hätte gerne grosse Abfallberge», seufzt sie zuerst. Um anzufügen: «Eigentlich ist es für Volketswil ein gutes Zeugnis.» Mit Ausnahme der Kippen, so Berger: «Die musste ich mehrmals aus der Flasche in den Müllsack leeren.» Ähnlich ergeht es Anna Vogel und Esther Büchel gegenüber. Vor lauter Stummeln meinen sie: «Man sollte auf Packungen schreiben, dass eine Zigarette bis zu 10'000 Liter Wasser verschmutzen kann.» Immerhin finden die beiden Frauen, die sich auch sonst säubernd betätigen, etwas Exotisches: Büchel fischt aus dem Gebüsch eine leere Literflasche, die einst «World’s Finest Water» beinhaltete – aus den fernen Fiji-Inseln…

Es wird abgerechnet

Nach zwei Stunden Sammelns folgt vor der Scheune des befreundeten Quartiervereins Chappeli die Stunde der Wahrheit: 150 kg Müll landen auf einem Langhaufen. Den durchsuchen die Cleanwalkers genau; alles wird sortiert. Knapp 65 kg landen später in verschiedenen Säcken, um sie getrennt zu rezyklieren. «Das übernimmt unser Partner, der Werkhof, und holt alles am Montag ab», lobt Michel Fässler. Seine Tochter Caro organisiert ebenso charmant wie markant das noch viel genauere Sortieren. So finden jeweils alle Markenkollegen der 624 Aludosen, 413 Pet- und 31 Glasflaschen zusammen. Ebenso alle Getränkebeutel, Speiseverpackungen oder Zigarettenschachteln einer Marke. Das mag seltsam klingen, aber im Auftrag dreier Organisationen führt Caro genau Buch über die Marken – speziell auch zur Markenwelt eines Schweizer Lebensmittelmultis. Aufs lokale Podest schaffen es 1. Red Bull, 2. Mc Donalds, 3. Capri Sun. Entscheidend ist laut Familie Fässler, dass sich genau erkennen lasse, wessen Produkte wo wie oft weggeworfen würden: um dieser Firma mit traurigen Beweisen auf die Finger zu klopfen. Ohne auf Marken zu achten, aber neu dabei sind auch 54 Schutzmasken. Und dazu Spezielles: vom räderlosen Kindervelo über einen Feuerlöscher bis zum seltsam grünen Adventskranz.

Zigarettenstummel zählen

Nebenan, auf einem kleinen Platz mit Fallschutzplatten, sind fünf Frauen lange am Werk. Mit auffälliger Ausdauer und Hingabe. Sie reden oft angeregt miteinander: «Das ist fast wie früher bei den Waschfrauen am Brunnen», erkennt Michel Fässler. Nur zählen sie eifrig Zigistummel um Zigistummel. Auf immer mehr Platten erheben sich Hügel zu hundert Stück. Klar könnte man auch nur 100 oder 1000 Kippen zählen und den Rest wägend hochrechnen. Aber die beteiligten Organisationen Just do it und World Wildlife Fund (WWF) wollen weltweit genaue Zahlen, um das Ausmass exakt vor Augen zu führen. Wegen des metallreichen Giftmixes darin. So läppern sich in Hegnau und Zimikon 8986 Stummel zusammen, in 17 Schweizer Kantonen gar 194'063! «Somit konnten 1’078’127 mit Trinkwasser gefüllte Badewannen vor der Verunreinigung bewahrt werden», merkt Just do it Switzerland an.

Mehr Infos: www.cleanwalkers.ch

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