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Der Gegenwind hielt sich in Grenzen

Erstellt von Arthur Phildius | |   News

Der Zeitplan ist sportlich: Im August 2020 soll Volketswil sein neues Durchgangszentrum haben – im Auftrag des Kantons. Der Infoabend am 6. Februar zeigte zwar allerlei konkrete Bedenken, vor allem von Anwohnern. Richtig quer stellte sich aber keiner.

«Ich glaube, ich habe die Wette gewonnen», schmunzelte Jean-Philippe Pinto im Kultur- und Sportzentrum Gries. Und zwar die mit Michael De Vita-Läubli um die Publikumsgrösse: 80 tippte der Gemeindepräsident, zu hohe 200 der Liegenschaftenvorstand. «Würde hier über ein neues Hallenbad diskutiert, wäre die Halle voll», meinte Pinto. «Es geht hier nicht ums ‹Pro und Kontra Asylpolitik›.» Sondern um den Vollzug von Bundesrecht: «Dazu hat die Gemeinde sehr wenig zu sagen.» Dasselbe gelte für die Liegenschaft an der Kindhauserstrasse 35 und 37: Dort ist das Kantonale Durchgangszentrum, Filiale Volketswil, seit 1999 daheim. Doch die beiden L-förmigen Ex-Wohnblöcke, deren desolater Zustand schon viel zu debattieren gab, stehen nur noch kurz: 2017 hat ihr Eigentümer Ersatzwohnhäuser angekündigt und den Mietvertrag per Silvester 2019 aufgelöst. So betonte Pinto: «Der Vertrag ist nicht verlängerbar und läuft unwiderruflich Ende Jahr ab.»

Alternativen sind schlechter

Wie nun also die Bundespflicht erfüllen, Asylsuchende im Anteil von 0,7 Prozent der Wohnbevölkerung zu übernehmen? Diese Rate gilt für alle Gemeinden im Kanton. «Stellen Sie sich vor, wir müssten Wohnungen für rund 130 Asylbewerber finden.» Mit zahlbaren Mieten notabene. Das sei schwierig, ebenso die Betreuung an all den Orten bei weniger Sozialkontrolle. Zudem müsste dafür die Gemeinde Personal anstellen. Oder einen eigenen Neubau selbst betreiben. Lieber baut die Behörde für den Kanton ein neues Durchgangszentrum – und erfüllt so die Aufnahmepflicht komplett. «Verschiedene Gemeinden hätten gerne ein Durchgangszentrum auf ihrem Gebiet. Aber der Kanton hat sich für Volketswil und einen Neubau entschieden. Andere Gemeinden boten Altbauten an.» Aufschub gewährt Ebenso hätten die vier einheimischen Kantonsräte im Büro von Mario Fehr, dem Sicherheitsdirektor, einen Aufschub erwirken können. Dies, weil die Zeit knapp sei. «Der Druck ist sehr hoch, aber der Kanton gibt uns Zeit, eine gute Lösung zu finden.» So sei es möglich, das neue Zentrum erst ein halbes Jahr später zu eröffnen. Und somit so lange keine Asylsuchenden aufnehmen zu müssen. Andrea Lübberstedt lobte «die exzellente Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Kanton». Die Leiterin des Kantonalen Sozialamts bestätigte auch, dass dieses «keine weiteren Leute zuweisen» werde, da das neue Zentrum die Aufnahmepflicht erfülle.

Vieles ist noch nicht lange klar

Weiter erklärte sie den laufenden Umbau des Schweizer Asylwesens: «Neustrukturierung heisst, dass vor allem der Bund die Asylverfahren noch weiter beschleunigt. Er geht davon aus, dass sich 60 bis 70 Prozent der Asylgesuche innerhalb von 140 Tagen klären lassen.» Ergo kämen mehr Leute in die Kantone, «die wissen, dass sie hier bleiben können». Bei ihnen gehe es darum, sie «auf das Leben in einer Gemeinde vorzubereiten». Entsprechend konterte Lübberstedt Vorwürfe, man habe nach der Kündigung der aktuellen Häuser 2017 zu lange zugewartet und sei darum nun so knapp dran: «Die neue Asylstruktur brauchte viel Zeit für Abklärungen.» Dass der Kanton noch 1000 Asylsuchende übernehme, «wurde erst im Frühling 2018 klar». 44 Plätze weniger als bisher Statt bisher 175 Plätze bisher wird es neu nur noch 134 geben. Gezielt gebaut werde, so De Vita-Läubli, vor allem für die Bedürfnisse von Familien mit Kindern bei je sechs bis zwölf Monaten Aufenthalt. Zudem verbessere der Neubau die Kontrolle und Sicherheit durch einen Portier rund um die Uhr und einen Zaun. Der Minergiestandard ohne kontrollierte Lüftung sorge für einen sparsamen Betrieb. Ein Mann kritisierte die Solaranlage und den Lift: «Da sehe ich den Sparwillen nicht ganz.» Die Gemeinderäte hielten entgegen, alles sei straff gerechnet, die Solaranlage das einzig Freiwillige («Wir sind eine Energiestadt.») und der Lift nötig, um die Mehrheit der Wohnräume zu erschliessen. «Er ist aber nicht der grösste Kostentreiber.» Lübberstedt warb fürs Bauen mit Lift und ohne Schwellen: «Viele Leute kommen aus Kriegsgebieten wie Syrien und sind daher zum Teil versehrt.» Es helfe, hindernisfrei, bedürfnisorientiert und familienfreundlich neu zu bauen.

Knackpunkt Umzonung

Sorgen bereitet De Vita die nötige Umzonung: von der «Industriezone mit niedriger Ausnützung in eine dreigeschossige Wohnzone mit Gewerbeanteil». Dies entscheidet die Gemeindeversammlung am 15. März. «Wenn die Umzonung nicht klappt, ist das Projekt schon gescheitert.» Dagegen meldeten am Infoabend Anwohner Widerstand an, viele aus derselben Familie. Sie fühlten sich benachteiligt, weil sie einst für ihr Bauprojekt kein offenes Ohr gefunden hätten. «Ich wundere mich über den Ort», hiess es etwa. «Das war Industriezone, jetzt soll es im Eiltempo eine Wohnzone werden. Warum geht es jetzt ‹ratzfatz›?» «Weil es hier um einen öffentlichen Zweck geht», erwiderte Pinto. «Zuerst wollten wir die ganze Fläche umzonen. Doch der Kanton lehnte das ab.» Zudem habe die Gemeinde keine andere Parzelle, die bereits Wohnzone sei. «Sie kennen die Landpreise: Sie wären für so ein Projekt viel zu teuer.» «Der Zweck ist der Auslöser» Mehrere Redner tadelten, das Ex-Gemeindehausareal sei vorschnell verkauft worden. Besonders Anwohner befürchteten, dass die Umzonung auf einmal heimlich auch anderen Zwecken dienen könnte, von denen sie selbst nichts hätten. «Den öffentlichen Zweck wird’s weiter brauchen», versicherte Pinto, höchstens Sozialwohnungen erfüllten den auch – nach 25 Vertragsjahren. Doch mit keinen Asylsuchenden mehr sei nie zu rechnen: «Der Kanton wird es ‹ewig› brauchen.» Der nicht angetastete Teil der Parzelle sei separat zu betrachten. Dem traute eine Frau aus besagter Familie nicht: «Das steht nirgends.» Sie fiel durch besonders viel Kritik am Projekt und Details daran auf. Da half Rolf Keller vom zuständigen Büro Planpartner: «Das Projekt ist genau umschrieben. Der Zweck ist der Auslöser fürs Projekt und nichts anderes.» Der Ort für diesen Zweck sei sehr gut nachvollziehbar. Pinto doppelte nach und verwies auf die Konkurrenz im Kanton: «Es gibt x Gemeinden, die auch ein Durchgangszentrum wollen.» «Der Deal dünkt mich fair» SVP-Präsident Benjamin Fischer fragte nuanciert: «Der Deal, dass wir dieses Durchgangszentrum bauen, aber keine Wohnungen brauchen, dünkt mich fair.» Er befürchtete aber, dass die Leute später vor allem hier wohnen blieben und die Sozialkosten weiter anstiegen. Keine einfache Frage, gab Lübberstedt dankend zu. Vorläufig Aufgenommene weise der Kanton den Gemeinden zu. Für anerkannte Flüchtlinge suche er aber überall Wohnungen.

Ein anderes Thema war der Verkehr. Einige befürchteten, drei Parkplätze genügten nicht. AOZ-Direktor Thomas Kunz erklärte: «Es sind nie alle Betreuer gleichzeitig da. Wir haben ja einen 24-Stunden-Betrieb.» Vielleicht sei dann der Bus zu weit entfernt, sorgte sich jemand. So nahe wie die Buslinie 721 jetzt im «Chapf» sicher nicht mehr. Aber bis zu ihrer Haltestelle «Chappeli» sind es knapp 300 Meter; jedoch abends und sonntags bis zur Haltestelle «Hegnau» rund 500 Meter. «Wir werden das mit den VBG genau prüfen», versprach Pinto.

Konfliktpotenzial im Blick

Ein anderer Anwohner hat «keine Lust, dass Asylbewerber über mein Grundstück latschen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Sicherheit an der Grenze sehr bald aufhört.» Er meldete sich für die Baukommission an. Pinto versicherte: «Für den Gemeinderat ist es absolut wichtig, dass das Konfliktpotenzial mit den Nachbarn genau angeschaut wird.» Solche Sorgen versuchte ein Anwohner des jetzigen Zentrums zu entkräften: «Ich wundere mich, dass Sie als (künftige) Nachbarn so grosse Probleme sehen.» Und zum Podium: «Ich möchte eine Lanze brechen für Sie. Ich finde das Projekt sehr gut durchdacht und sinnvoll.» Gegenüber heute vor allem menschenwürdig. Nach rund einer Stunde beendete Pinto die rege, stets gesittete Diskussion. Er sei froh, die «Fragen, Sorgen und Anliegen der Bevölkerung» nun besser zu kennen. Gewisse Konflikte gebe es immer. «Das Worst-case-Szenario wäre, dass der Kanton abspringt und wir auf uns gestellt wären.» Das Projekt mache nicht Spass, sei aber nötig. Das Publikum spendete zuletzt warmen Applaus.

Einfach, robust, durchdacht

Das neue kantonale Durchgangszentrum soll etwa 200 Meter südwestlich des bisherigen zu stehen kommen: Von der Kindhauser- zieht es an die Tolackerstrasse. Diese erschliesst ab dem Gewerbekreisel die Landi. Dahinter setzt sie sich als eckiges U fort bis zur Bühlstrasse. Einzig in der inneren linken Ecke gewährt eine 2778 m2 grosse Fläche drei Etagen, ohne den Flugbetrieb zu stören. Die Häuser unterschreiten das zulässige Maximum von neun Metern nur ganz knapp. Geplant sind zwei dreiteilige, dreistöckige Riegel mit einem Innenhof dazwischen. Sie bestehen aus zwei verschiedenen Einheiten, in denen die Bewohnenden jeweils ihr Zusammenleben gestalten: Die vier Eckeinheiten A enthalten fast nur Wohn- und Esszimmer mit Küche, die zwei Mitteleinheiten B auch Räume für Büro, Beschäftigung und Technik. Eine einstöckige Loge vor dem Innenhof dient einer sicheren Ein- und Ausgangskontrolle. Ein Lift macht auch den 1. Stock für körperlich Beeinträchtigte, etwa Kriegsversehrte, zugänglich. Eine Feuerwehrzufahrt und ein öffentlich zugänglicher Spielplatz schliessen das Areal an den Stirnseiten ab. Der Holzelement-Neubau soll laut Gemeinderat «einfach, robust, unterhaltsarm und durchdacht» werden. Der beantragte Baukredit umfasst 7,488 Millionen Franken. Der Gemeinderat rechnet mit jährlichen Folgekosten von 19000 Franken; den Betrieb besorgt die Asylorganisation Zürich (AOZ) im Auftrag des Kantons. Die Gemeindeversammlung berät das Projekt am 15. März vor; an der Urne entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 19. Mai. Im Herbst sollen die Bauarbeiten beginnen und im August 2020 die ersten Bewohner einziehen. 

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