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Das Kind der Woche

Erstellt von Michaele Madu, katholische Pfarrei Volketswil | |   Unsere Zeitung

In der Klasse meiner Tochter hat die Lehrerin ein schönes Ritual eingeführt. Jede Schülerin und jeder Schüler darf einmal im Jahr das «Kind der Woche» sein. Ich fragte natürlich gespannt, was das bedeutet. Meine Tochter erklärte mir, dass vorne im Stuhlkreis eine Runde gemacht wird, in der alle nacheinander dem Kind sagen, was es sehr gut kann oder was sie besonders an ihm mögen. Das ist dann eine ganze Ladung an Positivem, die nicht nur im Moment glücklich macht, sondern lange vorhalten kann. Auch die, die nicht die besten Freunde sind, sagen einem dann Gutes.

Ich bin froh, dass die Klassenlehrerin jedes Kind und auch die Klassengemeinschaft auf diese Weise fördert. Das Ritual erinnerte mich an eine Geschichte, die ich gelesen habe. Dort hat auch eine Lehrerin die Kinder ihrer Klasse nachdenken lassen, was das Beste ist, dass sie über jeden einzelnen sagen können. Für jedes Kind liess sie dann ein Blatt zirkulieren, auf dem alle das Netteste schrieben, das sie ihnen zu diesem Kind einfiel. Als die Blätter voll waren, bekam jedes Kind sein eigenes Blatt zurück und durfte es lesen. Schon nach kurzer Zeit lächelten alle und nahmen die Listen glücklich mit nach Hause. Die Lehrerin hatte einige flüstern gehört: «Ich wusste gar nicht, dass andere mich so mögen» und «Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemandem so viel bedeute».

Danach wurde nicht mehr über die Listen gesprochen. Aus den Kindern wurden Erwachsene, die ihren Weg im Leben suchten. Leider verstarb ein junger Mann recht früh. Zu seiner Beerdigung kamen viele ehemalige Klassenkameraden und auch die Lehrerin von früher. Nach der Abdankung sprachen die Eltern des jungen Mannes die Klassenlehrerin an: «Waren sie damals nicht Marks Lehrerin?» Sie bejahte das. Die Mutter sagte: «Mark hat früher immer viel von ihnen gesprochen.» Dann zog der Vater ein altes mehrfach gefaltetes Blatt hervor. Er sagte: Schauen Sie, was wir in Marks Portemonnaie gefunden haben.» Es war die Liste, auf der die Kinder damals alles Gute über Mark geschrieben hatten. Der Vater sagte: «Wir möchten Ihnen danken, dass Sie das gemacht haben. Wie Sie sehen, hat das Mark im Leben viel bedeutet.» Einige der jungen Leute sahen die Liste und kamen zu ihnen. Auch sie berichteten, dass sie ihre Listen noch hatten. Der eine trug sie immer in der Agenda bei sich, eine hatte sie ins Tagebuch gelegt und einer hatte sie sogar vor kurzem in sein Hochzeitsalbum geklebt.

So hatte etwas Kleines eine grosse Wirkung. Diese Woche hat am Aschermittwoch die Fastenzeit begonnen. Einige Leute fasten dann körperlich und verzichten auf Süsses, Zigaretten oder Alkohol. Es gibt viele Wege, sich innerlich auf Ostern vorzubereiten. Eine Möglichkeit könnte auch sein, dass man fünf Wochen vom Negativen fastet. Es wird immer schnell geurteilt und verurteilt. Wie wäre es, sich öfter im Kopf oder sogar auf dem Papier einige Gedanken zu machen, was wir an anderen besonders mögen? Herausfordernd wird es, wenn wir das auf die Menschen beziehen, von den wir uns nicht so sehr angezogen fühlen. Die Fastenzeit ist eine Zeit der Verwandlung. Es kann das Herz verändern und uns für das Ostergeheimnis bereit machen, wenn wir es bewusst mit viel mehr Gutem als Negativem füllen.

Michaele Madu, Katholische Pfarrei Volketswil

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