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Das bunte Erbe eines genialen Künstlers pflegen

Erstellt von Arthur Phildius | |   Unsere Zeitung

«Nöd fröge – luege!» So regte der Zürcher Künstler Max Hunziker dazu an, dessen Werke selber zu deuten. Wie etwa seine elf Fenster in der reformierten Kirche Volketswil. Ein neuer Verein fördert nun Hunzikers Werke. Mit im Vorstand ist der Volketswiler Fotograf Peter Schärer.

Dies ist die Geschichte zweier Schaffer: Der eine, Max Hunziker, lebte von 1901 bis 1976, meistens in Zürich, und hinterlässt ein enorm vielseitiges, enorm ausdrucksvolles und enorm umfangreiches Werk. Der andere, Peter Schärer, 1944 in Zofingen geborener Volketswiler und Fotograf, schwärmt für dieses Werk und hat sich zur Aufgabe gemacht, es zu sichten, mehr darüber zu erfahren, mittels Kamera zu sammeln und seine Faszination zu teilen.

Jungkünstler biss sich durch

«En Chrampfer!», staunt Schärer über Hunziker. Dieser verzichtete früh auf sichere Löhne als Lehrer. Stattdessen gab er schon in seinen Lehr- und Wanderjahren in Florenz (ab 1920) und Frankreich (ab 1926) alles für seine künstlerische Berufung. 1934 schrieb er seiner Familie, er sei sich stets bewusst gewesen, als Künstler statt Lehrer unangenehm zu leben. Aber auch nach 13 Jahren ständigen Suchens sei er «nicht müde und um kein Jota vom damaligen Entschluss entfernt; ich gebe auch heute noch das Letzte weg, um mein Ziel zu erreichen. Deswegen bin ich arm.»* Erst der Kriegseintritt Frankreichs 1939 drängte ihn in die Heimat zurück: für seine zweite Lebenshälfte. Hier illustrierte Hunziker zunächst mehrere Bücher und schuf bis 1976 unzählige Gemälde, Druckgrafiken, Tarotkarten – und vor allem Glasbilder. Dies gemeinsam mit dem Glaser Karl Ganz, drei Jahrzehnte bis zu dessen Tod 1970. Seinen Weggefährten und dessen Handwerk ehrte er mit den zwei Namenskürzeln «MH» und «KG» in einem Kreis am Bildrand. «Ohne Karl Ganz hätte Max Hunziker seine Glasscheiben technisch gar nicht machen können», weiss Schärer.

Verbleib vieler Werke ungewiss

«Max Hunziker war derart produktiv, dass wir uns zuerst einmal einen Überblick verschaffen müssen, was er alles erschaffen hat und wo seine Werke verblieben sind», sagte Peter Schärer vor einem Jahr der Zeitung «reformiert.». Er ist eines von fünf Gründungs- und Vorstandsmitgliedern des Vereins «Atelier Max Hunziker», der sich vor einem Jahr formiert und kürzlich seine Gründungsversammlung mit 39 Interessierten abgehalten hat. Der Verein, kurz AMH, hat seinen Sitz im Atelier des Künstlers, das in Zürich Witikon noch da ist. Er hat viel Arbeit vor sich, wenn er sich «für den Erhalt, die wissenschaftliche Erforschung und Vermittlung des Nachlasses sowie des gesamten künstlerischen Werks engagiert». Denn wie stand es im «reformiert.»? «Wo überall Hunziker seine bunten Lichtspuren hinterlassen hat, weiss niemand so genau. Und was auf den Kunstgläsern abgebildet ist, noch weniger.» Wo sind sie alle geblieben? Beispiel rundes Glasfenster am abgerissenen Geschäftshaus des deutschen Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen: Es steht für dessen Polystyrol-Kunstgläser, die Hunziker und Ganz ab 1969 ganz neue Chancen eröffnet hatten. Musste am echten Glas noch Blei die Farbfelder voneinander trennen, bemalte Hunziker das Kunstglas «normal» an einer Staffelei. Aber just das BASF-Fenster kennt Schärer nur aus einem Buch; es ist genauso verschollen wie etwa ein Fenster in Privatbesitz in Maur. Jedoch telefoniert und mailt Schärer emsig herum, um fündig zu werden. Bereits in den letzten gut vier Jahren hat er aber fast 300 Glasfenster Hunzikers ausfindig machen und fotografieren können: von Standesscheiben mit Kantonssymbolen – in mehreren Varianten – bis zu den Monumentalfenstern in Altersheimen, Geschäftshäusern, Kirchen, Schulen und im Unispital Zürich.

Auch ein «Chrampfer»

Gerade dort zeigt sich: Die Fenster sind teils so gross (bis zu acht Meter) und teils auch durch Treppen und andere Einrichtungen verstellt, dass Schärer nur eines blieb: «Ich musste Teile davon einzeln fotografieren, bei der Bildbearbeitung am Computer Verzerrungen entfernen und sie zusammensetzen.» In einem Schulhaus in Frauenfeld galt es gar, zuerst Kabelsalate zu entwirren und Möbel mit Tontechnikgeräten vor dem Fenster zu verschieben. Dabei packte «Foti-Peter», wie man den langjährigen und selbstständigen Fotokursleiter in Volketswil auch kennt, mit an. Das Musikzimmer neu verkabeln musste er dann aber nicht, schmunzelt er… Ob hier, bei Recherchen, bei der Arbeit am Vereinsprospekt, an der Homepage oder neu auch für seinen ersten Workshop zu Max Hunziker: es fällt auf, wie sehr sich Schärer reinkniet. Dabei ist er schon 78 und eigentlich im Ruhestand. Aber halt eben auch ein unermüdlicher «Chrampfer», wie er etwas verlegen zugibt. Woher bezieht er seine Energie dafür? «Eine gute Frage», erwidert er und überlegt: «Sicher die Faszination fürs Ganze. Ich bin auch dankbar fürs Leben und ein positiv eingestellter Mensch.»

Grosser Auftrag aus Volketswil

Würde sich Peter Schärer als Fan von Max Hunziker bekennen? «Ja, ja, sicher!», ruft er aus. «Wahnsinn, was der alles gemacht hat!» Besonders begeistern ihn die leuchtenden Farben, die der Künstler verwendete. Der Funke für Hunzikers Werke sprang in der reformierten Kirche Volketswil auf Schärer über. Der Fotograf bewundert sie seit Jahren bei Kirchenanlässen – und begann sie abzulichten, auch für Doppelkarten mit Couverts. Das Glaskunst-Duo konnte hier mit dem Neuverglasen aller elf Fenster einen seiner grössten Aufträge umsetzen. Dies geschah nach einem grossen Umbau des Innenraums 1956/57, von 1962 bis 1966. Ein Besuch beim 1956 kreierten Fenster der Matthäuskirche Zürich überzeugte die Baukommission. 2013 gab die Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte in Zusammenarbeit mit der reformierten Kirchgemeinde einen Kunstführer zur Glaskunst in der Dorfkirche heraus, mit einem Text von Angela Schiffhauer.

Verein fördert Nachlass

Die Kunsthistorikerin Schiffhauer zählt genauso zum AMH-Vorstand wie die Zürcherin Ursula Kunz, der die Urheberrechte an Max Hunzikers Werken gehören, Schärer und der Thalwiler Vereinspräsident Andreas Friedrich. Ihn lernte Schärer zuerst kennen: als reformierten Kirchenpfleger in Thalwil und Buchherausgeber über Max Hunzikers Kirchenfenster dort (siehe unten). «Er flippte aus, als er sah, was ich schon beisammen hatte», erinnert sich Schärer an den Moment, als er seine bisherigen Hunziker-Fenster-Fotos Friedrich zeigte. «Dann kamen wir ins Grübeln: Was machen wir daraus? Ein Buch, eine Stiftung, einen Verein?» Letzterer erwies sich als günstigste und geeignetste Lösung, um den Nachlass und die Erinnerung an den Künstler zu fördern. Schärer und Oliver Hunziker (kein Nachkomme des Künstlers) betreuen die Seite www.atelier-max-hunziker.ch gemeinsam. Sie befindet sich noch im Aufbau.

An Augenweiden fehlt es nicht

Dort sticht sofort ins Auge, was der Volketswiler Fotograf auch am 30. November in seinem Kunst-Dialog primär vermitteln möchte: Hunzikers Motto «Nöd fröge – luege». Denn der Maler hatte sich stets geweigert, seine Bilder selbst zu deuten. Er wollte die Betrachtenden ihrer eigenen Fantasie überlassen. Max Hunzikers Universum an Farben, Figuren, Gesichtsausdrücken, Szenen, Symbolen und perfekt gemalten Texten ist reich genug dafür. Wer sich mit dem Kenner Peter Schärer demnächst auf drei riesige Originale Max Hunzikers einlässt, darf sich darauf einstellen, dass er/sie ergriffen da steht und die Augen viele Weiden zum Wandern finden…

* Zitat aus einem Artikel von Régine Bonnefoit im Buch «Max Hunziker und Karl Ganz – Eine Zusammenarbeit von den Thalwiler Kirchenfenstern bis zur Entwicklung des Organglases», Verlag Scheidegger & Spiess, 2015.

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