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Arbeit und Nichtstun können ganz nahe beieinander liegen

Erstellt von Tobias Günter, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

38 Als sie (Jesus und seine Jünger) weiterzogen, kam er in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. 39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. 40 Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!“ 41 Der Herr antwortete: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. 42 Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden (Luk. 10,38 – 42).“

Was denken Sie, wenn Sie diesen Text lesen? Für mich ist er eine Rechtfertigung der Gemütlichkeit, ja sogar des Nichtstuns. Nichtstun, irgendwie verlockend, immer wieder wünschten wir uns das. Einige von uns waren in den letzten Wochen gezwungen, nichts zu tun. Sei’s, weil in Ihrer Tätigkeit nun Kurzarbeit angeordnet ist oder Sie als Kleinunternehme ihren Laden oder ihr Restaurant schliessen mussten oder weil ihnen, in welcher Branche auch immer, die Kundschaft fehlt.

Ich möchte jetzt nicht weiter auf diese uns allzu gut bekannte Situation eingehen. Die, in welcher Form auch immer, vom Nichtstun-Betroffenen haben gemerkt, dass Nichtstun sowohl langweilig als auch quälend sein kann, insbesondere dann, wenn das Gedankenkarussell im Kopf weiter dreht und einem, beispielsweise ob Fragen der Existenzsicherung, im dümmsten Fall nächtelang den Schlaf raubt. Ich meine, dass wir uns eher nach einem anderen Lebensentwurf sehnen, uns insgeheim eine Lebenswirklichkeit wünschen, in welcher unser Tun weniger hektisch ist, doch aber als Arbeit erkennbar ist.

Mir kam zu diesem Thema eine Geschichte in den Sinn, die ich im 3. Klass-Religionsunterricht gehört habe und die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: Ein Mann fischte am See Genezareth: Da kam ein anderer Mann hinzu und fragte: „Was tun Sie da?“ Er antwortete: „Ich fische.“ Da erwiderte der Erste: „Warum denn ganz alleine?“ Der Fischer meinte: „Ich geniesse die Ruhe und den See und abends kann ich meine Familie ernähren.“ Da antworte jener: „Sie könnten doch Leute anstellen, die ebenfalls für Sie fischen, Sie könnten dann eine Firma gründen und alle gefangenen Fische verkaufen.“ Der Fischer entgegnete: „Was bringt mir das? Ich habe ja genug für mich und meine Familie.“ Jener stellte fest: „Dann fabrizieren Sie Boote, stellen noch mehr Leute an, die auf den See hinausfahren und noch mehr Fische fangen. So können Sie noch mehr verkaufen, machen noch mehr Gewinn und stellen noch mehr Leute an. Dann bräuchten Sie selbst gar nicht mehr zu fischen, sondern könnten in aller Ruhe hier am Seeufer sitzen und Ihr Leben geniessen.“ Der Fischer warf ein: „Aber das tue ich ja jetzt schon. Ich sitze hier am Seeufer, fische und kann gleichzeitig die Ruhe geniessen. Warum soll ich daran etwas ändern?“ Jener drehte sich resigniert um und verliess den Fischer.

Diese Geschichte zeigt uns, dass Arbeit und Nichtstun ganz nahe beieinander liegen können. Es geht hier darum, einen Arbeitsmodus zu finden, der nicht als immer wiederkehrende Pflicht, sondern als Heiligung erlebt werden kann, übrigens ein reformatorisches Prinzip. Die Arbeit als Tageswerk erleben zu dürfen, welches Sinn und Struktur verleiht, ist wohl ein urmenschlicher Wunsch. Die Heiligung der Arbeit und das Erleben der Sinnhaftigkeit einzelner Arbeitsschritte sind leider, aufgrund von Arbeitsteilung und der rasant fortschreitenden Digitalisierung, in den letzten Jahrzehnten spürbar in den Hintergrund getreten. Trotzdem wünsche ich uns Allen, dass das Hier und Jetzt und, ganz besonders, der Moment zählt. Zwar können wir uns nicht mehr, wie die Nomaden und Bäuerinnen im Alten Testament, nach dem Lauf der Sonne richten, doch wir können versuchen, das bewusste Leben unserem Planungs- und Kontrollinstinkt vorzuziehen. Die letzten Wochen waren, bei allen Entbehrungen, eine gute Übung dafür.

34 Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage (Math. 6,34). Ich wünsche Ihnen, im Namen der reformierten Kirchgemeinde Volketswil, einen gesegneten Sonntag.

Tobias Günter, reformierter Pfarrer

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