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"Ach, du schöner Greifensee!"

Erstellt von Roland Portmann, reformierter Pfarrer | |   Unsere Zeitung

Stellen Sie sich vor, zwei Menschen treffen sich am frühen Morgen am Greifensee; Sie betrachten gemeinsam den Sonnenaufgang: Die ersten Sonnenstrahlen teilen den Horizont, trennen Erde und Himmel. Das Licht bricht hervor in einem Farbenspiel. Der Tag, das Leben erwacht.

Der erste der zwei Beobachter deutet das Ereignis so: Die Erde beginnt ihre Tagesrotation um die Sonne, die somit nun unsere Hemisphäre zu bescheinen beginnt. Das Licht trifft mit 299'792’ 458 m/s auf der Erde ein. Die Sonnenstrahlung ist eine der Grundvoraussetzungen für die Entwicklung und den Erhalt des Lebens auf der Erde. Die durch die Sonnenstrahlung freigesetzte Energie beruht auf der Kernfusion von Wasserstoff zu Helium, das sogenannte Wasserstoffbrennen in der Proton-Proton-Reaktion. Der Sonnenaufgang ist ein naturwissenschaftlich beschreibbares Naturereignis.

Der zweite Beobachter deutet das Ereignis so: Er fühlt sich in diesem Moment mit der Welt und Gott, mit allem verbunden. Ein Gefühl der Demut und zugleich Erhabenheit erfüllt ihn. In diese «Allverbundenheit» wird er sich bewusst, dass da etwas seiner, ja unser bewusst ist. Er wird sich selber bewusst, dass das Ganze mehr ist, als die Summe der einzelnen Teile. Er deutet dieses Ergebnis mit den uns und unserer Kultur vertrauten Bildern; Religion ist auch tradierte Weltdeutung: Wie am ersten Schöpfungstag, so teilt hier die Sonne Himmel und Erde. Wie in der Schöpfungsgeschichte bricht das Leben als Folge des Lichts hervor. Heute, wie die Tage zu vor und die Tage, die noch folgen, tut dies Gott im Eingedenk an den Bund, den er mit Abraham und allem Leben geschlossen hat. Als Zeichen dafür steht der Regenbogen. Gott erhält die Welt.

Wie wir solche Ereignisse, ja Erlebnisse deuten, sagt viel über uns und unser Leben aus: Natürlich ist das obige Beispiel «holprig» und es gibt zwischen den beiden Positionen noch einige Schattierungen, dennoch zeigt es Folgendes: Wir können uns mit unserer blossen Existenz, mit unserem Leben als blosse biologische Tatsache begnügen und in einer «entzauberten» Welt leben. Wir können aber auch hoffen, dass es etwas über die blosse Existenz hinausgibt. Wir können aber auch hoffen, dass unser Leben Sinn macht, ja einen Zweck hat, auch über den Tod hinaus. Wir gehen dann davon aus, dass es mehr gibt, als wir mit unseren Sinnen und unserem Verstand erfassen können. Was wir erleben, ja was wir auch glauben ist mehr, als wir mit unserem Verstand erfassen und mit Worten zum Ausdruck bringen können. Etwas trägt die Welt, ja hält sie zusammen: Diesem etwas geben wir ein Gesicht und einen Namen und nennen es Gott.

Roland Portmann, reformierter Pfarrer

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