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3000 mögliche Jobs in Volketswil

Erstellt von Arthur Phildius | |   News

Glatt- statt Landwassertal, regional statt international: Nach Davos hat nun auch Volketswil sein Economic Forum (VEF). Die Erstauflage zog am 17. Januar über hundert Personen aus Politik und Wirtschaft an. Leute, die sich gemeinsam intensiv den Kopf zerbrachen: Wo steht Volketswil? Was soll es sein? Wohin will es?

 

Worin unterschied sich das VEF vom Weltwirtschaftsforum WEF? Im halbierten W, in der Ausgabe eins statt 49, im Ort. Zudem dauerte es nur einen Abend, kam aber eine Woche früher. Das Logo sieht recht ähnlich aus. Das Ziel ist quasi dasselbe: Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft tauschen sich über brennende Themen aus. Einfach hier auf lokaler bis regionaler Ebene, statt international.

Den Anschluss nicht verlieren

«Die ersten Businessjets (fürs WEF) sind schon gelandet. Dann können wir hier das VEF beginnen.» Dieser Startscherz trug Gemeindepräsident Jean-Philippe Pinto erste Lacher ein.Von über 100 Angemeldeten. «Das sind weit mehr als erwartet», freute er sich. Dann wurde er ernster. Mit 18615 Einwohnerinnen und Einwohnern sei Volketswil schon die elftgrösste Gemeinde im Kanton. «Lägen wir im Zürcher Weinland, wären wir das Regionalzentrum», träumte er kurz. «Allerdings liegen wir eingeklemmt zwischen Dübendorf und Uster.» Aber ohne Bahnhof – trotz «hervorragender Busverbindungen». Damit stellte er die Frage nach Volketswils Wesen: «Sind wir mit bald 20000 Einwohnern ein Dorf, eine Stadt, eine dörfliche Stadt, ein städtisches Dorf?» Ebenso zu bedenken seien «unausgewogene Gastronomie», «zahlreiche Leerstände» in Gebäuden, die hoch belastete Industriestrasse, der Firmenmix oder der Detailhandel: «Wir hören, dass gewisse Einkaufszentren mit grösseren Problemen kämpfen.» Etwa dem Onlinehandel. Apropos Technologie: «Wer stehen bleibt, verliert den Anschluss.»

«…und alles ist anders»

Eindeutig ein Steilpass für Sven Ruoss: Der 36-jährige Zürcher verantwortet für die «Blick»-Gruppe das Digitale Kompetenzzentrum mit und hat schon viele Fachartikel verfasst. Zudem ist er Studienleiter Digital Business an der Hochschule für Wirtschaft (HWZ) in Zürich. Sein Thema: «Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf den Standort Volketswil?» «Wann wart ihr letztes Mal in einer Bank?», fragte Ruoss. Eben. Dies zeige die stürmische digitale Entwicklung, die auch Kredite, das Teilen teurer Maschinen oder Taxis erfasst habe: «Man dachte, das könne man doch nicht digitalisieren. Da kommt plötzlich Uber, und alles ist anders.» Und er? «Ich habe mein ganzes Büro in diesem Laptop dabei und kann von überall her drauf zugreifen.»

Von der Lehrtochter lernen

Somit müsse sich jedes Klein- und Mittelunternehmen (KMU) überlegen, wie sich Kunden besser bedienen oder Arbeitsprozesse vereinfachen liessen. «Sorgen macht mir»: Erst 13 Prozent der Schweizer KMU seien digital gut unterwegs, der Rest noch kaum. Dabei gehe alles immer schneller: Ein neues Game erreiche 50 Millionen Menschen auf der Welt in 35 Tagen. Das Telefon benötigt dafür einst 75 Jahre … Selbst die Generation der 55- bis 69-jährigen «Silver Surfer» wachse rasant. Daher riet Ruoss dringend, aktiv zu werden: Thematische Schwerpunkte bilden, digitale Experten miteinander teilen und möglichst niederschwellig gemeinsame Kenntnisse vermehren, etwa durch ein Mittagstreffen namens «Digital Lunch & Learning». Oder: «Schnappen Sie sich einen Lehrling. Es braucht etwas Überwindung, aber es lohnt sich.» Junge Menschen gäben oft stolz ihr Wissen weiter. «Wagen Sie sich aus der Komfortzone. Wenn Sie ein neues Gadget nicht ausprobieren, können Sie es gar nicht einschätzen.»

Gute Ideen bald anpacken

Gery Colombo, Vizepräsident des Industrievereins (IVV), reagierte darauf «gerade etwas nervös», denn: «Die Digitalisierung wird teuer und aufwendig. Wir können sie nicht alleine stemmen.» Doch jemand müsse gute Ideen wie den «Digi-Lunch» anpacken: «Wenn alle nur warten, bis es jemand macht, geht es nicht vorwärts.» Aber: «Wir dürfen nicht warten, bis es zu spät ist.» Um dem vorzubeugen, hätten Politische Gemeinde, IVV und Gewerbeverein (GVV) das VEF ins Leben gerufen. GVV-Präsident Stephan Ulrich ermutigte dazu, «das Computerzeug anzufassen». Heikel für ein KMU sei: «Lege ich in der Zeit, in der ich mich als Kleinunternehmer auf die Zukunft vorbereite, nicht den kompletten Laden lahm?» Das sei in der Industrie, die er auch von innen kenne, anders. Er bestätigte er aber Colombos Aussage zuvor: «Auch ein kleines Unternehmen kann komplexe digitale Anforderungen haben. Es hat mehr mit der Komplexität als mit der Grösse des Unternehmens zu tun.»

«Was muss Volketswil bieten, um für die Wirtschaft attraktiv zu sein?» Dazu sprach Urs Blaser (63), Inhaber des Beratungsbüros Blaser und Partner. Erst 2017 beendete er dafür sein 18-jähriges Mandat als Standortförderer in Olten (SO). Mit dieser Aussensicht bescheinigte er Volketswil gute Voraussetzungen. Bemerkt hat er aber: «Der Detailhandel ist unter sehr grossem Druck.» Immerhin investierten beide älteren Einkaufszentren in Erneuerungen. Das Wachstum – die Richtpläne rechneten bis 2030 mit je rund 20 Prozent mehr Bewohnern und Beschäftigten – solle sich vor allem in Nachverdichtungen statt neuen Zonen äussern. Im Fokus stehe: «Wer bestimmt das Wachstum und dessen Stärke?» Am besten Gemeinde und Wirtschaft gemeinsam. Neue Arbeitswelten entstünden in vielen Bereichen, minderten den Flächenbedarf und schafften Leerstände, aber auch das Gegenteil geschehe. «Dadurch ist es nötig, neue Nutzungskonzepte für die bestehenden Flächen zu entwickeln.» Rund um etablierte Firmen seien daher die Kompetenzen zu schärfen: Welche Branchen fördern, welche weniger? «Freie Flächen interessieren keinen, die gibt es überall wie Sand am Meer.» Nutzungsszenarien dienten neuen und bisherigen Immobilien: «Aktiv planen statt zuwarten.» Auf Ankermieter sei aufzubauen und Besitzer darin zu unterstützen, aus ihrer Liegenschaft ein Themengebäude zu gestalten – etwa für Handel, Gesundheit oder Genuss. Weiter seien Netzwerke zu fördern. Blaser regte an, sich regional weiter zu vernetzen, auch im Hinblick auf den Innovationspark Dübendorf. Das helfe, den Standort gezielt zu fördern. Denn: «Ich habe noch nicht herausgefunden, wer hier wirklich den Lead hat und wer die Fleissarbeit macht.» Dabei gehe es um über 3000 mögliche neue Jobs in Volketswil. «Das ist eine grosse Chance für Ihre Gemeinde.»

Herausfinden, wer man ist

Colombo reagierte darauf mit dem Wunsch, schneller, agiler, flexibler, präziser und kooperativer zu werden. «Volketswil muss herausfinden, wer es überhaupt ist. Wüsste man das genauer, könnte man die Spezialisierung schon lange fördern. Sonst ist man nur Mittelmass.» Ulrich stimmte zu. Das Profil sei zudem so zu schärfen, dass sich auch junge Firmen in Volketswil entwickeln könnten. Colombo doppelte nach: «Wir müssen unser Selbstverständnis schärfen.» Und dabei anerkennen: «Volketswil hat nun mal keinen Bahnhof, keinen See, kein Erdöl… Man muss das pflegen, was man hat.» Pflegen heisst für Ulrich auch, der einige Leerflächen mit der Kamera festgehalten hat, diese ins Heute zu befördern: WLAN, Lifte, gemeinsame Nutzungskonzepte.

Das Gehörte «auf die lokale Ebene hinunterbrechen», so Moderator Beat Jenny: Diesem Ziel dienten sechs «Innovationsinseln». Im Vorfeld eingeteilt, besprachen da je 15 Leute intensiv eines von sechs Themen: Netzwerkausbau, Digitalisierung, «Wirtschaftsverbände heute und morgen», Wirtschaftsförderung, Wirtschaftswachstum, Standortattraktivität (alles im Raum Volketswil). An den Stellwänden vermehrten sich die Ideen in Stichworten. Nachzulesen übrigens unter www.vef2019.ch.

Sich mehr verknüpfen

«Das Wort der Fusion zwischen IVV und GVV fiel rasch», fasste Ulrich zusammen. Es gebe erste Ansätze zur Zusammenarbeit. «Wie können wir einander digital mehr verknüpfen?» Auch etwa, um Job und Jobsucher zu verlinken. Synergien zwischen beiden Vereinen besser nutzen will auch Colombos Gruppe. So auch, «um die Region zu vermarkten und Trends aufzuzeigen». Mehrere Gruppen erörterten Fragen zur Standortförderung: Wer führt sie an? Wer macht was und wie? Wer bezahlt es? Das verriet Zurückhaltung. Aber Pinto stellte erfreut fest: «Alle Teilnehmer meiner Gruppe möchten an diesem Prozess sehr gerne teilnehmen.» Die Führung sähen sie bei der Gemeinde. «Es muss eine zuständige Stelle sein, die gut vernetzt ist», fordert die Gruppe von IVV-Präsidentin Barbara Gysi. Eine Standortförderungskommission könne «die Portfolio-Pflege verwirklichen». Zudem wünscht Pintos Gruppe, Beitritte zur Greater Zurich Area und zur Flughafenregion zu prüfen, ebenso Verbindungen zum Innovationspark. Kommt man da noch mit? «Unsere veraltete Infrastruktur», so Gemeinderätin Regina Arter, sei durch ein Leerstandsmanagement von IVV und GVV zu erwidern. Start-ups sollten Räume anfangs gratis nutzen. Ziel sei, «dass man von Volketswil spricht» und sich grosse Chancen eröffne. Nötig sei aber, so Gysi, «dass wir unsere Stärken kennen und aktiv pflegen». Am schwersten tat sich Marc Bertschis Gruppe mit der Digitalisierung: «Wer könnte bei mir ins System eindringen? Kommt der Mensch mit ihrem exponentiellen Wachstum noch mit?» Das Potenzial sei gross, der Nutzen über die Gefahren zu stellen und das Thema gemeinsam anzugehen. Darin seien sich alle einig.

Sehr aktiv mitgemacht

Mit Miniwerbespots für ihre Angebote beschlossen Gysi, Ulrich und Pinto den Abend. Hängen bleibt Bettina Gysis Eindruck: «Ich bin begeistert, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, von euren Ideen und davon, wie aktiv ihr mitgemacht habt.» Klar warte das OK nun die Echos ab, so Pinto. Aber: «Wir sind sehr motiviert, 2020 wieder ein Economic-Forum durchzuführen.»

Alles in Wort, Bild und Film nachverfolgen: www.vef2019.ch

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